KÜSTENWIND ÜBER KREUZBERG
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Marten Laciny alias Marsimoto alias Marteria ist Deutschlands größtes Hip-Hop-Talent seit Dendemann. Im Interview spricht der Rapper aus Rostock über seine lyrische Begabung, die Schrecken der New Yorker Modelszene, Jan Delay und das Entstehen seines neuen Albums. (Erschienen 2010 auf www.redbull.de)
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Deine ersten Erfahrungen als Rapper hattest du schon früh mit der Underdog Cru. Wie ausschlaggebend war das für deine spätere Karriere?
Schon sehr wichtig, keine Frage. Ich war damals 16 und die anderen waren einfach die „älteren Jungs“, von denen ich lernte. Wir waren damals auch auf Europa-Tournee, zum Beispiel beim splash!-Festival. Es war ein guter Vorlauf für mein jetziges Business.
Erzähl mal von deiner Zeit in New York, wo du ein Jahr als Model verbracht hast.
Ich war da mit 18 und habe mitten in Manhattan, in Chelsea, gewohnt, von dem her war’s natürlich schon eine krasse Erfahrung, ganz jung und ganz allein dort zu sein. New York ist eine Stadt mit so viel Energie, dass es für mich schon ergreifende Dimensionen hatte. Es hat eine ähnliche Lebenskultur wie Berlin, aber viel heftiger.
Was hat dich von der Modelszene abgeturnt?
Alles, außer die Partys (lacht). Es ist schon eine sehr oberflächliche, einfältige Szene – schließlich geht’s nur um eins: das Aussehen. Das find ich nicht cool. Dieser utopische Anspruch an sich und die anderen nervt dann doch gewaltig. Aber gut feiern kann diese Szene, das muss man ihr lassen.
Dein Papa war Seefahrer, welche Beziehung hast du zum Meer?
Ich bin ja ursprünglich aus Rostock und lebe nun schon seit acht Jahren in Berlin und – ja klar, ich vermisse das Meer. Rund um Berlin gibt’s zwar Seen, aber dort geht mir gerade erst recht der Küstenwind ab. Da aber meine Familie und mein kleiner Sohn Louis (3) noch immer in Rostock leben, komme ich dort immer wieder hin.
Wie ist es für dich, Vater zu sein?
Ich lebe ja leider getrennt von meinem Sohn und seiner Mutter und sehe ihn nicht so oft wie ich gern würde. Das hat natürlich auch mit meinem Beruf zu tun, der ja hauptsächlich die Wochenenden in Beschlag nimmt. Nach Rostock muss ich also erstmal hinfahren und das Zeitmanagement ist wie gesagt kein leichtes …
Verstehe, lernst du eigentlich auch was von deinem Sohn?
Ja klar, Kinder sind intuitiv, darüber lerne ich eine Menge und auch darüber, Verantwortung für jemand anderen zu übernehmen und den Wert des Lebens zu schätzen. Wenn ich nur für mich selbst Verantwortung trage, und bei rot über die Kreuzung gehe, dann ist das meine eigene Angelegenheit, wenn du mit einem Kind unterwegs bist, lässt du es nie aus den Augen – es spielt also immer auch diese unbestimmte Angst mit, dass ihm etwas zustoßen könnte. Man nimmt auch die Gefahren rundherum besser war, das hohe Gerüst, den See, in dem es ertrinken könnte. Sich von dieser instinktiven Angst nicht kirre machen zu lassen, ist dabei die Herausforderung. Man sollte schließlich seine Vorsicht nicht zu sehr übertreiben.
Dein Künstlername Marteria kommt ja vom spanischen Wort für „Stoff“ oder Substanz. Welche drei Dinge in Deutschland haben deiner Meinung nach Substanz?
Erstens mal die Bundesliga (Marten spielte unter Horst Hrubesch im U-17 Kader der deutschen Fußball-Nationalmannschaft; Anm.). Die sehe ich im Vergleich zu anderen Ländern wie Spanien und England als schuldenfrei und mit Hand und Fuß organisiert. Dann die deutsche Küche, obwohl ich eigentlich eher auf Seafood und exotischere Küchen stehe, aber so ein Nürnberger Schäufele (Schweineschulter; Anm.) hat schon Substanz! Dann fällt mir noch die Politik ein, die ich für ehrlicher halte, als in vielen anderen Ländern. Vielleicht kommt das aber nur in den Medien so rüber, dann hätte eher die Medienberichterstattung über die deutsche Politik Hand und Fuß (lacht).
Wie kommt eigentlich deine Heliumstimme fürs Marsimoto-Projekt zustande?
Das ist ein Stimm-Pitcher, den wir uns selber ausgetüftelt haben um damit hohe Frequenzen zu filtern und auszuarbeiten, kein gewöhnlicher Logic-Pitcher. Da kann ich jetzt gar nicht mehr zu sagen, weil das im Grunde ziemlich secret ist. Auf jeden Fall macht es Spaß, anhand der Figur des Marsimoto mal anders auf die Welt zu gucken.
Wie war eigentlich deine erste Begegnung mit Jan Eißfeldt (Beginner, Jan Delay, Boba Fett)?
Die war super! Er hat angerufen und gemeint, er feiert gerade total mein Album (Halloziehnation; 2006). Ich war dann als Vorgruppe mit ihm auf Tour, was eine breite Öffentlichkeit auf Marsimoto aufmerksam gemacht hat. Also nicht nur Hip-Hop-Heads, sondern quer durch die Bank: Alte Beginner-Fans, junge Kids und sogar Rocker.
Fürs neue Album Zum Glück in die Zukunft warst du quasi im Exil in Dänemark. Wie verlief dort euer Aufnahme-Alltag?
Es war mir wichtig, fürs Album einen gewissen nordischen Touch zu finden. Also mieteten wir ein Haus im dänischen Nirgendwo, räumten die Schlafzimmer mit Keyboards voll und richteten in der Sauna eine Gesangskabine ein. Miss Platnum war auch dabei, sie hat nebenbei auch für uns gekocht und geputzt. Das wichtigste war, dass wir keinerlei Ablenkung hatten. Zwei, drei Wochen ohne nervendes Handy, das war schon wichtig – in Berlin kommst du zwar auf Ideen, aber sonst zu nichts (schmunzelt).
Der passende atmosphärische Sound ist ja von Song zu Song verschieden, aber kannst du deine generelle Vorstellung von Raumklang in Worte fassen?
Ich mag gerne Klänge, die’s nicht verdient haben, im Hintergrund zu sein. Live stehe ich gern im Sound. Das ist eben so eine nerdige Liebhaber-Sache, sich mit hochwertigen Klängen zu umgeben, an Streichersätzen zu feilen und Sounds durch den Raum zu jagen. Mir ist es bei meiner Arbeit auch wichtig, nicht von Tracks zu sprechen, sondern von Songs. Tracks kommen und gehen, ein Song bleibt!
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In dem Song Neue Nikes geht es um den Widerspruch zwischen der Freude über ein Paar neue Sneakers mit Swoosh und dem schlechten Gewissen, was man global mit diesem Kauf auslöst.
Das ist der alte Gegensatz: einerseits ist es nicht cool, andererseits freue ich mich total über neue Nikes, von denen ich auch gesponsert werde. Das ist so ähnlich wie bei den Leuten, die eigentlich kein Fleisch essen, und sich dann immer neue Ausreden einfallen lassen, warum sie’s dann doch tun – die essen dann „nur“ Fleisch, das nicht aus Massentierhaltung kommt, oder was auch immer. Man sollte halt nicht vergessen, das in den Ländern, in denen Nike herstellen lässt, viele, viele Familien von ihrer Arbeit in den Fabriken ernährt werden, so böse das nun klingt – ähnlich wie Bergarbeiter in einer Goldmine, die sonst überhaupt keine Arbeit hätten.
Wie siehst du den inhärenten Widerspruch im Menschen westlicher Prägung?
Ich denke, dass diese komplexe Gegensätzlichkeit in unserer europäischen Kultur schon sehr ausgeprägt ist, diese Widersprüchlichkeit. Man versteht dann auch, dass angesichts unserer Konsumkultur die Leute keinen Bock mehr haben, in die Kirche zu gehen. Andererseits haben die Frauen erst seit zwei Generationen die Möglichkeit, selber Entscheidungen zu treffen, was früher nicht der Fall war. Aber es zeichnet sich auf jeden Fall ab, dass jeder nur mehr für sich und seine Selbstverwirklichung lebt und keinen Bock auf Kinder hat, das ist natürlich auch doof.
Woher kommt deine Wortgewandtheit und deine Begabung für Sprachbilder?
Ich weiß es selber nicht. Ich würde gern mal eine Schule oder einen Workshop besuchen, wo man das lernt. Referenzen und klare Bilder zu finden, ist mir aber schon immer gelegen. Ich habe auch schon sehr früh damit begonnen, Songs einfach für mich zu schreiben. Und wenn ich mir meine frühen Sachen heute ansehe, komme ich drauf, was ich damals alles noch nicht wusste. Es gibt ja Grundregeln, wie du deine Gedanken in einem Song transportierst … ob du ein narratives „Ich“, oder das „Du“ verwendest, um den Zuhörer direkt anzusprechen und in die Geschichte des Songs zu ziehen, ist aber letztendlich immer eine Entscheidung zwischen Kopf und Bauch.
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Zum Glück in die Zukunft, das vierte Album von Marteria erschien am 20. August 2010 auf Four Music.
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Fotos: Four Music
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