KILL ROYAL
Altes Geld ist eine achtteilige Serie über eine kalte Welt in warmen Farben, in der die Gier regiert und der Zynismus die Herrschaft übernommen hat. Es geht um eine dekadente Dynastie, um die Jagd nach einer Leber und um ein Paar Handschuhe aus Menschenhaut. Die deutsche Tageszeitung Die Welt bezeichnete Altes Geld als „gemeinste, lustigste und beste Serie seit Helmut Dietl“. Als „Dallas für Geistesgestörte“ beschreibt sie Autor und Regisseur David Schalko und führt uns in ein böses Märchenland, das gar nicht mal so entfernt an Österreich erinnert.
Was wäre Österreich ohne die Fernseh-Shows von David Schalko? Auf jeden Fall noch näher an der grotesken Realität seines Achtteilers Altes Geld. Eine Realität, die komplett ohne Mitgefühl auskommt. Obwohl sie ihren Reiz durch Überzeichnung gewinnt, zeichnet die Serie ein exaktes Bild von Korruption und Dekadenz, wie sie eigentlich nur hierzulande denkbar sind.
Wir finden uns in einem entrückten Märchenland wieder, tief im finsteren Herzen Europas. Dunkelgrüngolden ist die Atmosphäre dort. „Österreich“ nennen es die handelnden Personen der Serie. Es ist ein seltsames Land, dieses Österreich in Altes Geld und wir hier in Österreich kennen es nur zu gut.
Worum geht’s? Der milliardenschwere Industrie-Magnat Rolf Rauchensteiner (Udo Kier) ist an Hepatitis erkrankt und braucht eine neue Leber. Wer sie ihm besorgt, erhält das stattliche Vermögen, das sein Nazi-Vater durch die Fabrikation von Gas erwirtschaftet hat. Also trommelt Rauchensteiner seine Frau Liane (Sunnyi Melles), die Kinder Jakob (Manuel Rubey), Jana (Nora von Waldstätten) und Zeno (Nicholas Ofczarek), seinen Sohn aus erster Ehe, zusammen.
Inzest und Intrigen
Liane, auf opernhaft-vergnügte Art abgrundtief verdorben, unterhält seit längerem eine Affäre mit Zeno (ihrem Stiefsohn!), einem wamperten, Kokain-enthemmten Chef-Zyniker. Jakob, der sich als Entwicklungshelfer nach Afrika abgesetzt hat, wird von Liane nach Hause gerufen. Dort lässt er alle seine Verachtung spüren und frischt seine Geschwisterliebe zu Jana wieder auf, einer elfenhaft maliziösen Hobby-Selbstmörderin. Eine schrecklich liebe Familie also. Ganz so, als hätte David Lynch die Royal Tenenbaums neu verfilmt.
Kaum ist die Familie und ihr skrupelloser Anhang über den Gesundheitszustand des Patriarchen informiert, beginnt ein Wettrennen um Geld und Leber, und auf Leben und Tod.
Die Beziehungsgeflechte der Rauchensteiners reichen bis in die höchsten politischen Kreise und in die Niederungen des Wiener Gangster-Milieus. Und alle laufen sie um das teure Organ oder versuchen, dessen Beschaffung zu vereiteln: der militaristisch durchgeknallte Leibwächter Kralicek (Robert Palfrader), der Zen-buddhistisch angehauchte Grün-Politiker Tscheppe (Simon Schwarz), der ebenso korrupte wie seelisch moribunde Bürgermeister (Herbert Föttinger), der hintertrieben-tollpatschige Leibarzt Dr. Schober (Cornelius Obonya), Zenos serbische Gold-digger-Lebensgefährtin Tania (Edita Malovčić) und ihr gerade aus dem Gefängnis entlassener Brutalo-Bruder Rasko (Carlo Ljubik).
Keinesfalls zu vergessen: der „Kommander“ (Johannes Krisch), ein größenwahnsinniger Unterweltkönig und seine übersinnliche Frau Edit, die Rosenkönigin von Mistelbach im schwarzen Dirndlkleid (Maria Hofstätter). Auch ein notgeiler Undercover-Polizist (Florian Teichtmeister), ein einarmiger Bandit im knallroten Ledermantel (Michael Maertens), Rauchensteiners jüdische Halbschwester (Shifra Milstein) und deren hochtoxischer Anwalt (sensationell grauslig: Lukas Miko) mischen sich ins Geschehen.
Die einzigen Identifikationsfiguren, die das rasante Geschehen in eine fassbare Relation zu setzen vermögen, sind Jakobs kettenkiffende Freundin Kerstin (Yohanna Schwertfeger), der Chauffeur Max (Julian Loidl) sowie Rauchensteiners Assistent Herwig Brunner (Thomas Stipsits) und dessen bodenständige Bobo-Frau Barbara (Ursula Strauss). Alleine in deren Beziehung ist Wärme möglich. Draußen herrscht der Krieg um die Leber für den Alten. Doch auch Brunner hat noch eine Rechnung mit Rauchensteiner offen…
Allen voran jedoch strahlt die Performance von Udo Kier, der für den großen Theaterschauspieler Gert Voss einsprang, welcher nach nur wenigen Drehtagen verstorben war. Kier bringt an Intensität und fachlichem Format klarerweise weniger mit als Voss, der auf der Bühne so viele fallende Könige von weltliterarischer Größe verkörperte. Was Kier aber mitbringt, sind seine echsenhafte Grundspannung, seine unwirklich blaugrünen Augen und sein (bekannt gutes) Aussehen, das auch physiognomisch die Vaterschaft von Zeno, Jakob und Jana glaubhaft macht.
Wo Gert Voss womöglich imposanter, grimmiger und schneidender gewesen wäre, verführt uns Udo Kier mit der Gabe, böse Charaktere mit Charme und Liebenswürdigkeit auszustatten. Seine Version des Rolf Rauchensteiner ist die eines etwas träge gewordenen Dämons, der im Kampf gegen sein Sterben noch einmal all seine Kräfte wirken lässt.
Udo Kier über die Arbeit an Altes Geld: „David Schalko weiß genau, was er will. Da er auch die Drehbücher selbst schreibt, ist alles auf einer Linie. Es geht um Familien, altes Geld, Reichtum, Korruption und schöne Frauen. Jeder schläft mit jedem – und Löwen laufen durchs Bild. Es sind absurde Situationen, die dem Wahnsinn nahe kommen.“
Psychedelische Mozartkugeln
Schalkos Inszenierung entfaltet die Wirkung einer Schachtel psychedelischer Mozartkugeln. Die Orte der Handlung, die er akribisch wie Wes Anderson oder Paolo Sorrentino als symmetrische Tableaus in Szene setzt: diverse Limousinen-Rückbänke, Designerlofts mit großformatigen Helnwein-Originalen, ein Nachtclub namens Dark Duck, ein äthiopisches Dorf, ein Gutspark voller Löwen, ein von Hitler geschenktes Cabrio und ein Familienmuseum, in dem ein Paar Handschuhe aus Menschenhaut aufbewahrt wird. Auch der eine oder andere Wald spielt wieder, wie in fast allen Schalko-Werken, eine wichtige Rolle.
Eine weitere Schlüsselrolle nimmt der Soundtrack von Kyrre Kvam ein: Für jede Folge komponierte Kvam ein an Chopin oder Satie erinnerndes Klavier-Thema in unterschiedlichen Variationen, welches wie ein wissender, melancholischer Erzähler die Handlung begleitet und kommentiert. Sonst wurden nur vier weitere Musikstücke verwendet: L’appuntamento von Ornella Vanoni, I’m Your Man von Leonard Cohen, Der Koenig von Palms und Absolute Beginners von David Bowie.
Ausstattung, Kostüm, Szenenbild und Licht sind von erlesener Güte und die virtuose Kameraarbeit von Marcus Kanter wurde 2015 beim TV-Festival in Chengdu mit einem International Gold Panda ausgezeichnet. Wenn es etwas zum Aussetzen gäbe, so wären das die Donnerschläge beim Gewitter über der Stadt, die synchron mit den Blitzen am Horizont erfolgen. Aber wurscht. Vielleicht wollte David Schalko ja ein klassisches Studio-Gewitter für die unwirkliche Wirklichkeit der Serie.
Über die Nachfolgeserie zu Altes Geld, sein atmosphärisches und beunruhigendes Remake von Fritz Langs Filmklassiker M – Eine Stadt sucht einen Mörder, meinte Schalko im Interview mit der Zeit: „Man spürt in Langs Film ganz deutlich eine Verrohung der Gesellschaft, eine Brutalisierung. Ich glaube, dass auch wir an einer Art Vorabend stehen, zu was, wissen wir noch nicht. Was wir wissen, ist, dass gewisse Bürgerrechte infrage gestellt werden, dass der bürgerliche Konsens verlassen wird, dass die Gesellschaft nach rechts rückt, dass es Ängste gibt, einen Effizienzfetischismus, eine Hardcore-Leistungsgesellschaft, in der der Wettbewerb gegeneinander mehr zählt als das Gemeinsame. All dieses Gebräu in Kombination mit einer Überwachungstechnologie riecht unsäglich. Ich würde es nicht als Faschismus bezeichnen, das ist ein viel zu altmodisches Wort dafür.“
Genau dieses gärende Soziothop liefert den fruchtbaren Morast, auf dem die Orchideen in Altes Geld ihre giftigen Blüten treiben. Für die Elite und ihre Handlanger sind Normalsterbliche Utensilien, derer sie sich bedienen. Sozialer Zusammenhalt? Gesellschaftliches Verantwortungsgefühl? Solidarität? Alles bloß bürgerliche Sentimentalitäten in den Kreisen der Rauchensteiners. Liebe und Moral sind etwas für den Mittelstand, Empathie ist Schwäche.
Die Dialoge sind dementsprechend keine Gespräche, sondern ein schlagfertiger Abtausch von fiesen Punchlines und messerscharfem Répartée, welches der gesellschaftliche Abgrundforscher Schalko erfahrungsgemäß aus dem Handgelenk zu schütteln weiß.
Sprache als Fluidum der Handlung
Das Faszinierende: Bis zum Schluss fiebern wir mit den absurd unangenehmen Charakteren mit, die so bunt schillern wie verdorbenes Fleisch. Unaufdringlich verweist Schalko auch immer wieder auf die Kulturgeschichte – etwa in Form eines serbischen Häftlings, der Ingeborg Bachmann zitiert („Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“) oder einer Spielhölle, deren Tür-Passwort lautet: „Hedy Lamarr ist eine geile Sau.“
Altes Geld ist ein ebenso kostbar wie schonungslos inszenierter Reigen um eiskalte Menschen in warmen, gesättigten Farben. Aber nicht nur: Wir erleben mit den Figuren Situationen, in denen wir uns selbst wiedererkennen und Szenen, die einem das Herz aufgehen lassen – welche, das soll hier nicht verraten werden.
Und wie immer bei Schalko ist es das literarische Element, welches auch dieser Serie ihre psychologische Tiefenschärfe verleiht: Das Drehbuch darf getrost eingereiht werden in die schwarzhumorige Erzähltradition Österreichs – neben Lisa Eckhart, Qualtinger, Zenker, Hader, die Brenner-Krimis von Wolf Haas, die Possen und Zauberstücke Johann Nestroys, Heimito von Doderers Repertorium bürgerlicher Exzentrizität, die Gift-und-Galle-Theatralik Thomas Bernhards, Hilde Spiels Wien-Analyse Die Dämonie der Gemütlichkeit, Peter Szivatz’ Vampirroman Kipfler, Herzmanovsky-Orlandos Wiener Schnurren aus dem modernden Barock und die vielschichtigen Libretti eines Hugo von Hofmannsthal.
Dieser verwendete, wie Schalko, die Sprache als Fluidum, von dem alles Leben in die Gestalten der Handlung überströmt. „Die Sprache“, schreibt Hofmannsthal in einem späteren Geleitwort zum Rosenkavalier, sei „wie alles in dem Stück – zugleich echt und erfunden, voll Anspielung, voll doppelter Bedeutung, eine „imaginäre“ Sprache, die zugleich den sozialen Stand und die Zeit charakterisiert.“ Und selbstredend ist Altes Geld auch in gewissem Sinn eine Vergegenwärtigung von Hofmannsthals bekanntestem Werk, in dem es ja auch um das Sterben eines reichen Mannes geht, der aufgrund seines Materialismus weit davon entfernt ist, dem Tod würdevoll zu begegnen.
David Schalko: „Altes Geld zeigt eine Welt, in der das Verbrechen bereits zur Staatsräson erhoben wurde, die Perversion letzter Ausdruck der inneren Verzweiflung ist und Gier mit Wille verwechselt wird. Nichts ist dieser Elite heilig, außer das eigene Leben. Für nichts scheint sie untalentierter, als sich mit etwas zufriedenzugeben. Um nicht an der eigenen Sinnlosigkeit zu zerschellen, erschafft sie sich hysterisch Katastrophen. Letztendlich die menschliche Komödie. Eine Komödie ohne Gott.“
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David Schalko wurde 1973 im Waldviertel geboren. Er wuchs in Wien auf und machte sich nach einem abgebrochenen BWL-Studium als Sexkolumnist, Schriftsteller und TV-Serienmacher rasch einen Namen. Auf sein kreatives Konto gehen etwa die Sendung ohne Namen, Willkommen Österreich, Braunschlag, M – Eine Stadt sucht einen Mörder oder Ich und die anderen. Seine Serien und TV-Filme wurden international vielfach ausgezeichnet. Als Romanautor und Erzähler sind von ihm erschienen: Bluterguss und Herzinfarkt, Frühstück in Helsinki, Wir lassen uns gehen, Weiße Nacht, KNOI, Schwere Knochen und zuletzt Bad Regina. Schalko hat mit der Filmeditorin Evi Romen zwei Töchter. Er lebt in Wien.
ALTES GELD, Österreich, 2015. Eine Produktion von SUPERFILM und ORF, erhältlich auf DVD, Blu-ray, Google Play und Amazon Prime
Spieldauer: 375 min / 8 x 45 min
Buch und Regie: David Schalko
Produktion: David Schalko, John Lueftner
Weiterlesen:
Kiffen im Führer-Cabrio: Essay von Jan Küveler (Die Welt)
Weitersehen:
Behind the Scenes (Achtung, Spoiler!)
BONUS
Unvergessliche Wuchteln aus Altes Geld:
„Wos? Du drohst dem Kommander, du Wiaschtl?“ – Kommander
„Wanns du mehr würfelst, dann bringa ma’s um.“ – Edit
„Kinder sind gierig, egoistisch, materialistisch… i kenn eigentlich nur Kinder.“ – Bürgermeister
„Generationen von Orschlöchan, die mit andere Orschlöcha Orschlöcha gezeugt ham.“ – Zeno
„Weißt du, es wäre vielleicht alles anders, wenn du anders wärst.“ – Liane