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CAL TJADER MACHT’S WIEDER GUT

„Cal wer?“ 

„Cal Tjader.“ 

„Achso, du meinst John Cale… oder J.J. Cale?“ 

„Nein, Cal Tjader!“ 

„Nie gehört.“ 

„Dann wird’s Zeit.“ 

 

Seine behagliche Musik ist wie gemacht für unsere unbehagliche Epoche und somit war der Vibraphonist aus San Francisco seiner eigenen voraus: Cal Tjader stand in den 1950er und 60er Jahren für die Verbindung von lateinamerikanischer Musik und West-Coast-Jazz. Als Samplequelle beeinflusste sein schmoofer Sound nachhaltig die Genres Hip-Hop, Chillout und Lounge. Und wenn schon Fahrstuhl-Musik, dann bitte solche, die einen nach oben bringt.

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Cal Tjaders Vibraphon-Klänge spenden Heilung, Trost und Wohligkeit. Sie sind samtene Pölster für die Seele, goldene Wolken, die im Abendhimmel stehen.
Seine Musik könnte man aus heutiger Perspektive als Lounge-Jazz, Pop-Exotica oder Retro-Cocktailmusik bezeichnen – aus einer vorgeblich unschuldigeren Zeit, als Herren beige-farbene Cord-Jacketts und Damen Petticoat und apfelgrüne Capri-Hosen trugen. Tatsächlich waren seine Platten in den frühen 1960ern stets in der Nähe einer edelhölzernen Hausbar zu finden, in unmittelbarer Nachbarschaft von Campari, Ricard und Pisco Control. Cal Tjaders Sound ist Tim und Struppi für die Ohren: ein Wohlfühl-Filter und ein emotionales Rezept für harte Zeiten.

 

 

China Nights

The Prophet

 

Das Wichtigste, was wir fragilen Menschen auf diesem Planeten brauchen, sind ja gute Vibes. Zu Hause, unterwegs und bei der Party.
Zum Beispiel auf dieser hier: Eine kalifornische Farm in gelbem Kornfeld stehend, auf einem Hügel über dem Pazifik, im Jahre 1958. Lagerfeuer brennen im Innenhof: „Es war eine sternklare Nacht, warm und angenehm, im Mai. Alle kamen. Die Party teilte sich bald wieder in drei Gruppen auf. Ich verbrachte die meiste Zeit im Wohnzimmer, wo wir Platten von Cal Tjader auf dem Hi-Fi hatten, und eine Menge Mädchen tanzten, während die Jungs auf umgedrehten Konservendosen Bongotrommeln spielten.“ 

So schreibt der Beat-Prophet Jack Kerouac in Gammler, Zen und hohe Berge, Werner Burckhardts Übersetzung von The Dharma Bums. Und somit war Cal Tjader in die Geschichte der Popkultur eingeschrieben, ob er wollte oder nicht. Ein Beatnik war Tjader aber trotzdem keiner.

Doch wer war der Mann eigentlich? In erster Linie ein Musiker, der wenig Aufsehen um seine eigene Person erregte. Einer, der aussah wie ein Kulturjournalist bei einer konservativen Tageszeitung: schwarzgerahmte Intellektuellen-Brille, rundes Gesicht, Anzug und Krawatte. Solide war seine Lebensführung und beinahe langweilig liest sich seine Vita zwischen Studio, Bühne und Familie. Er scheint ein Mann von im Grunde schweizerischem Temperament gewesen zu sein.

 

Manuel’s Mambo

Moonlight In Vermont

 

Callen Radcliffe Tjader Jr. war Jahrgang 1925 und Spross einer schwedischen Familie, die in der Varieté- und Vaudeville-Szene von San Francisco Fuß gefasst hatte. Die Mutter, eine lebenslustige Pianistin, der Vater ein pedantischer Stepptanz-Lehrer mit strenger Hand, die der kleine Cal auch oft zu spüren bekam.
Im elterlichen Tanzstudio machte er zu seinem Glück auch Bekanntschaft mit jener biologisch in den Menschen gelegten metrischen Struktur, die alles von der mikroskopischen bis zur kosmischen Dimension durchdringt: dem Rhythmus. 

Cal Tjader, ca. 1958. Michael Ochs Archives

Sein erstes Instrument war bezeichnenderweise das Schlagzeug. Mit 16 gewann er einen Gene-Krupa-Talentwettbewerb, bei dem er sich den Titel „Mr. Talent“ verdiente. Die Drums spielte er als junger Mann unter anderem auf zehn Alben mit dem großen Dave Brubeck.
Doch zunehmend, und vor allem in der Band von George Shearing, wandte er sich den flauschigen Harmonien des Vibraphons zu, behielt jedoch sein schlafwandlerisches Taktgefühl und seinen – nun auch tonangebenden – Groove bei.

Was auf seinen mehr als dreißig Soloalben (auf Fantasy Records, Verve, Skye und Concord Picante erschienen) die Ohren von Mainstream-Amerika erreichte, war ein swingender Bigband-Sound, der jedoch auf kammermusikalische Besetzung heruntergefahren wurde. Saxophonist Paul Desmond schätzte den Lyrizismus und die mitteilsame Ausdruckskraft in Tjaders Soli.
Abseits der Bühne war er auch beliebt für seinen absurdistischen und selbstironischen Humor. So mancher Jazz-Journalist konnte kaum ein ernsthaftes Wort aus dem sonst so gediegen auftretenden Profi herausholen. Reges und regelmäßiges Repartée an Schlagfertigkeiten unterhielt er mit einem ebenfalls trinkfesten Herzensfreund, dem Stand-Up-Satiriker Lenny Bruce.  

 

Live At The Playboy Mansion 

 

Im Lauf seiner Karriere kollaborierte Cal Tjader unter anderen mit Lalo Schifrin, Anita O’Day, Kenny Burrell, Stan Getz, Carmen McRae, Art Pepper, Dizzie Gillespie und Donald Byrd.

Die unsterbliche Billie Holiday engagierte sein Trio für mehrere Auftritte, der junge Carlos Santana war auf den leichten, glockigen Klang von Tjaders Vibes angefixt und die besten lateinamerikanischen Perkussionisten, unter ihnen Willie Bobo und Mongo Santamaria, fühlten sich in seinem Rhythmusgefüge wie zu Hause.

Zudem war Tjader alles andere als ein tyrannischer Bandleader. Mit leichter Hand – wie in seinem Vibes-Spiel – ließ er seinen Mitmusikern Raum für Soli und verstand sich demokratisch als Teil der Band. Auch seine beiden Kinder beschrieben ihn als sanften und fürsorglichen Teil der Familie und weniger als deren gestrenges Oberhaupt.

 

 

„Ich bin kein Innovator oder Pionier. Ich bin ein Teilnehmer.“

— Cal Tjader

 

Weiters entscheidend für seine Beliebtheit war sein untrügliches Gespür für Ohrwürmer: Der Mann hatte einfach Geschmack und kannte seinen Hoagy Carmichael, George Gershwin oder Burt Bacharach. Für seine Coverversionen fischte er jedenfalls stets die richtigen Perlen aus den Ätherwellen der zeitgenössischen Popmusik. 

 

I Say A Little Prayer

Gimme Shelter

 

Cal Tjader war auch international erfolgreich, tourte nicht nur durch die USA und Kanada, sondern auch in der Karibik, in Europa und Japan. 1982 erlag er auf Tournee in Manila einem Herzinfarkt. Cal Tjaders zeitlose Musik wurde ab Ende der 80er Jahre wieder von einem jungen Publikum entdeckt und in zahllosen Produktionen der elektronischen Musik und des Hip-Hop in frischen Kontext gesetzt.

Zu den Musikern dieser Genres, die mehr oder weniger offenkundig Cal-Tjader-Samples in ihren eigene Tracks platzierten, gehören: Kruder & Dorfmeister, DJ Vadim, DJ Premier, Ali Shaheed Muhammad von A Tribe Called Quest, Jedi Mind Tricks, De La Soul, Tyler the Creator, Jazz Liberatorz, Tommy Guerrero, Thievery Corporation, Large Professor, Pete Rock, The Pharcyde, J Dilla, Madlib, Peanut Butter Wolf, Aphex Twin, Dimitri from Paris, DJ Cam, Sound Providers, Mark Rae, Dust Brothers und mehr als 130 (!) weitere.

 

Tanya

Souled Out

 

Schade eigentlich, dass sich Tjader nie dem Afro-Samba zugewannt hat und schade, dass es nie zur Gelegenheit gekommen ist, mit Antonio Carlos Jobim oder dem einzigartigen Gitarristen Baden Powell zu musizieren. Gábor Szabó (der auch auf Cal Tjaders kurzlebigem Label Skye vertreten war) und J.J. Cale wären weitere, leider unerfüllbare Kollabo-Wünsche meinerseits.

Als leidenschaftlicher Asien-Reisender ist mir eigentlich Breeze From the East (1964) die liebste Platte, obwohl sie unter Auskennern und Sammlern schlechte Kritiken erhielt: Zu wenig Jazz, zu viel Pop, zu viel sinistres Soundtrack-Feeling. Auch Tjader selbst erwähnte in einem Interview mit Herb Wong, dass die Platte eher Breeze From the Men’s Room heißen sollte.
Gerade aber diese mysteriöse, pseudo-asiatische Platte hat einen besonderen Sleazy-Listening-Charme und ein verführerisches Spionagefilm-Feeling.

Einen besonderen Platz in meinem Regal haben auch die Alben Latin Kick (1958), Soña Libré (1962), Several Shades of Jade (1963) und natürlich Warm Wave (1964), eine Art Bossa-Nova-Symphonie, umschmeichelt von den Streichern des großen Arrangeurs Claus Ogerman, der 1967 Tom Jobims Kompositionen für das Album Wave mit opulenten Orchesterklängen auskleidete.

Es sind also weniger Cal Tjaders fetzige Mambo-Alben mit Percussion-Orgien und treibender Trompeterei, die mich begeistern. Viel eher ist es dieser feinfühlige, atmosphärische und soundtrack-hafte Sound, der für mich persönlich am meisten Zauber ausstrahlt – und vieles, was uns unsere chaotische Welt zumutet, wieder gut macht.

 

What The World Needs Now

Passé

 

*

 

 

Mit Dank an Bill Sathrum für die Empfehlung!

 

Buchtipp:

Cal Tjader: The Life and Recordings of the Man Who Revolutionized Latin Jazz (S. Duncan Reid; McFarland, 2013)

 

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