VON TÜRMEN UND DÄCHERN: KARAKORUM EXPEDITION 2012
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David Lama (1990 – 2019) war ein Naturtalent, mehr noch: ein Phänomen. Bereits als Teenager gewann der Sohn eines Nepalesen und einer Innsbruckerin alle Kletterbewerbe, die man nur gewinnen kann (mit einer Sondergenehmigung auch in der Erwachsenen-Kategorie).
Seit seiner sensationellen freien Durchsteigung der berüchtigten Kompressor-Route an der Südostwand des Cerro Torre im Jänner 2012, explodierte David geradezu im klassischen Alpinismus. In den sieben Jahren bis zu seinem tragischen Tod definierte er die Berufsbezeichnung Extrembergsteiger neu.
So aufsehenerregend seine Leistungen in den Weltbergen auch waren, als Mitmensch und Gesprächspartner war David Lama wohltuend angenehm. Er war zugleich zurückhaltend und zuvorkommend; geradlinig ernsthaft und von einem hintergründigen Humor. Er wusste es zu schätzen, dass er sein Leben nach seinen Vorstellungen und Träumen leben durfte.
Im Herbst 2012 war er gerade aus dem Karakorum in Pakistan zurück, einer wüsten, zerrissenen Bergwelt Hochasiens. Im Gepäck hatte er gleich zwei ganz besondere Gipfelerfolge, über die er in diesem Interview mit mir sprach: den Trango Tower über die Route Eternal Flame und die oft wolkenverschleierte Chogolisa, den wohl schönsten Dachfirst der Welt.
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David, du hast dir gerade über Monate den Wind Patagoniens um die Ohren pfeifen lassen. Vergangenes Jahr warst du im indischen Kaschmir Himalaya, wo du gemeinsam mit den Schweizern Stephan Siegrist, Denis Burdet, Rob Frost und Stefan Schlumpf den 6155 m hohen Cerro Kishtwar bestiegen hast. Jetzt kommst du gerade aus dem Karakorum zurück. Du suchst dir für deine Projekte echt immer die wildesten Gegenden der Welt aus, oder?
Die Berge, die mich zur Zeit reizen, stehen halt zufällig in den wildesten Gegenden der Welt. Das macht für mich auch einen Teil von ihrer Anziehungskraft aus. Um zum Cerro Kishtwar zu gelangen, mussten wir drei Tage lang entlang eines Flusses (Dharlang; Anm.) durch ein menschenleeres Tal hiken. Wegen dem Grenzkonflikt zwischen Pakistan und Indien war die Gegend 20 Jahre lang für Reisende gesperrt, erst vor kurzem ist sie wieder zugänglich.
Anders der Baltoro-Gletscher, der unbewohnt ist, aber von unzähligen Trekkinggruppen besucht wird. Dort verlässt du auf ca. 3000 m Seehöhe Askole, das letzte Dorf, um dann noch zwei, drei Stunden zum Gletscher zu wandern.
Euer erstes Ziel im Karakorum war die Trango-Gruppe, zwei Tagesmärsche weiter den Braldu flussaufwärts. Wie gut besucht war dieses Gletscher-Seitental?
Im Trango Valley war schon ein wilder Zugang, allerdings gab es dort keine Trekkinggruppen, sondern Bergsteigerteams aus aller Herren Länder.
Wer waren deine Kletterpartner im Karakorum?
Peter Ortner, mein Partner, mit dem ich am Cerro Torre in Patagonien war, war immer dabei. Am Trango war noch ein dreiköpfiges Filmteam dabei: Fotograf und Kameramann Corey Rich, sowie Andrew Peacock und Remo Masina.
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Clip: A New Perspective: David Lama und Peter Ortner am Trango Tower.
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Wie ging es euch diesmal mit der Höhen-Akklimatisation?
Eigentlich ist es uns allen ganz gut gegangen. Gleich einen Tag nach unserer Ankunft im Basecamp starteten Peter und ich einen Erstbegehungsversuch am Trango Monk. Hundert Meter unter dem Gipfel mussten wir uns dann aber eingestehen, dass wir noch nicht ausreichend akklimatisiert waren. Vor allem für Peter war es die erste Expedition zu einem hohen Berg – von dem her hat er auch noch nicht gewusst, wie sein Körper in der Höhe funktioniert.
Ein paar Tage später starteten wir dann einen Versuch am Great Trango, bei dem wir wiederum kurz unterhalb des Gipfels umdrehen mussten. Dieses Mal war allerdings ein plötzlicher Hitzeeinbruch, der für zahlreiche Lawinenabgänge sorgte, der Grund für den Rückzug. Wegen des sehr schneereichen Winters und des feuchten Frühlings war viel Schnee und Eis in den Wänden, was uns sehr leicht zum Verhängnis hätte werden können.
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Wie lange habt ihr dann schlussendlich für euer eigentliches Projekt, die Route Eternal Flame (IX- nach der UIAA-Skala, 35 Seillängen), auf den 6251 m hohen Trango (auch Nameless) Tower gebraucht und habt ihr versucht sie frei zu klettern?
Die Route wurde Ende der 1980-er von Wolfgang Güllich, Kurt Albert und Freunden (Milan Sykora, Christoph Stiegler; Anm.) eröffnet und konnte erst vor drei Jahren von den Huber Buam frei geklettert werden. Es wäre natürlich lässig gewesen, wenn wir sie frei wiederholen hätten können, aber dazu war einfach zu viel Schnee und Anraum in den Rissen.
Wir haben einen Tag bis zur „Sonnenterrasse“ gebraucht, die wir über 400 Meter vorwiegend im achten Schwierigkeitsgrad erreichten. Dort biwakierten wir, und am nächsten Tag (30. Juni 2012; Anm.) sind wir weitere zehn Stunden die verbleibenden 600 Meter bis zum Gipfel geklettert.
Trotz der vielen Teams in der Wand war das Klettern der Eternal Flame für mich eines der besten Erlebnisse nicht nur in diesem Jahr, sondern überhaupt.
Euer nächstes Projekt im Baltoro-Gebiet war die 7 665 m hohe Chogolisa, die 1957 Hermann Buhl das Leben kostete, als er mit einer Wechte über die Nordwand abstürzte. Ihre fast perfekte Trapezform hat schon seit mehr als hundert Jahren Alpinisten angezogen, obwohl vor euch erst sechs Teams ihren Hauptgipfel erreicht haben. Wie eingehend hast du dich mit der Geschichte dieses besonderen Berges befasst?
Natürlich kennt und achtet man als Bergsteiger Hermann Buhl für seine Erstbegehungen (Maukspitze Westwand im Wilden Kaiser, Alleinbegehung der Nordostwand des Piz Badile, die 8. Durchsteigung der Eiger-Nordwand bei widrigsten Bedingungen, Nanga Parbat-Erstbesteigung in 41-stündigem Alleingang, Erstbesteigung des Broad Peak etc.; Anm.). Aber ich versuche immer mein eigenes Ding und gehe nicht gern in den Spuren von jemand anderem.
Wir wollten nicht auf die Chogolisa um einfach nur oben zu stehen oder um sagen zu können, wir waren auf über 7000. Wir wollten hinauf, um für uns selbst herauszufinden, wie wir uns dort oben fühlen würden. Peter und mir geht es nicht um Höhenangaben und es ist bestimmt nicht unser Ziel, einmal im Leben am Everest zu stehen. Doch wir wollten Höhenerfahrung gewinnen, um unsere zukünftigen Kletterprojekte zu realisieren.
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Clip: David und Peter auf der Chogolisa.
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Vor welche Herausforderungen hat euch die Chogolisa gestellt?
Die Chogolisa ist ein Schneeberg und zeichnet sich nicht so sehr durch technisch schwierige Stellen aus, als eher dadurch, dass sie eine verdammt zache Stapferei in Bruchharsch und Triebschnee darstellt.
Ein erster Versuch brachte Peter und mich auf eine Höhe von 6800 Meter. Aber dann zogen Wolkenbänke über die Grate im Süden herein. Der Abstieg zum Vigne Gletscher im Nebel war dann noch einmal richtig herausfordernd. Charly Gabl sagte uns aber noch ein Wetterfenster wenige Tage später voraus. Also sind wir noch einmal zu unserem letzten Umkehrpunkt aufgestiegen, haben dann dort unter einem kleinen Sérac biwakiert und sind zu Mitternacht bei sternenklarem Himmel zum Gipfel aufgebrochen.
Und dann folgte die zache Stapferei, von der du gesprochen hast?
Genau. Die folgenden neun Stunden waren echt eine Quälerei. Du plagst dich 20 Schritte durch den teils hüfthohen Schnee und musst dann zwei Minuten Pause machen – die 7000 plus Meter über dem Meer merkst du auf Schritt und Tritt. Da hängst du nur über deinen Skistöcken und schnaufst was geht. Für hundert Höhenmeter braucht man unter diesen Umständen mehr als eine Stunde.
Pakistanische Einheimische gaben uns den Tipp, einen Steinbock zu schießen und sein Fleisch zu essen, was anscheinend vor der Höhenkrankheit wappnet. Aber abgesehen davon, dass ich nicht wirklich daran glaube, konnten wir es nicht probieren: ein Steinbock lässt sich schließlich nicht einfach mit den Händen fangen!
Zu der extremen Höhe kommt natürlich auch das Wetter dazu; Schlechtwetter bekommt man in dieser Region genügend ab: Von 18 Tagen im Basecamp am Vigne Gletscher unter der Chogolisa hat es an 14 Tagen geregnet oder geschneit. Trotz seiner relativen Einfachheit sind wir deshalb stolz auf den Gipfel – es war ja auch seit 1987 niemand mehr oben.
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Wirst du in die „Thronhalle der Götter“, wie das Karakorum auch genannt wird, zurückkehren?
Ja, Peter und ich haben den einen oder anderen Gipfel dort bereits ins Visier genommen.
Im Vergleich zu den Alpen sind die Wände des Himalaya riesige Spielwiesen. Es ist aber eher diese Freiheit, die du bei der Wahl deiner Linien durch die Wände hast, die mich anzieht. Nicht so sehr die Geschichtsträchtigkeit des einen oder anderen Gipfels – man kommt ja ohnedies schwer umhin, die Verbundenheit eines Berges mit seinen Besteigern aufzulösen…
Ohne uns wären die Berge nur Steinhaufen; Schotter und Fels ohne Bedeutung. Von sich selber aus ist kein Berg schön, mystisch, wild oder gefährlich. Es sind wir Menschen, die den Bergen diese Attribute geben. Es hängt alles mit uns zusammen.
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Dieses Interview erschien in leicht geänderter Form auf redbull.com.
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Dieses Interview und einen Nachruf auf David Lama auf Englisch lesen
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Update 2016: David Lama – Life is a Playground (Video)
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