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::: Norman Dyhrenfurth :::

HOLLYWOOD UND HIMALAYA

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Explorer, Bergfilmpionier, Idealist und Weltbürger: Norman G. Dyhrenfurth (1918 – 2017) lebte ein außergewöhnliches Leben auf drei Kontinenten. Eine Würdigung.

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Solu Khumbu: Norman Dyhrenfurth, 1952, bei Dreharbeiten im Rahmen der Schweizer Everest-Expedition im östlichen Nepal. Im Hintergrund der Thamserku (6608 m)


„Sie mögen sich erwürgen
Am Fuß um Gut und Geld,
Er bleibt auf den Gebirgen
Der frohe Herr der Welt.“

         Novalis, Der Bergmann

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Professor Norman Günter Dyhrenfurth war einer der letzten großen Forscher und Expeditionsleiter aus der goldenen Ära des Himalaya-Bergsteigens. 

Sein formidables Gedächtnis war eine Schatztruhe für Bergliebhaber, seine Seele ein weites Land – und dann diese gletscherblauen Amfortas-Augen, die bis ins hohe Alter von 99 mit Eindringlichkeit, aber auch mit einer frischen, fast kindlichen Neugier in die Welt blickten.

Dyhrenfurth war gesellig, das spürte man sofort. Kein verbitterter Eremit, sondern ein umfassend gebildeter Ästhet und charmanter Kosmopolit, der es Zeit seines langen Lebens verstanden haben muss, mit Esprit, Wohlwollen und Respekt auf Menschen zuzugehen – und auf Berge.

Im Frühling 2016 besuchte ich Norman Dyhrenfurth zu einem mehrstündigen Gespräch, welches nur einmal auf angenehmste unterbrochen wurde, als Maria ‘Moidi’ Sernetz (1919 – 2021), seine Lebensgefährtin und eine Sonnenblume von einer Frau, kurz im Büro vorbeischaute. 

Hier sind meine Aufzeichnungen über ein bewegtes Leben zwischen Hollywood und Himalaya. 

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Es ist einer der ersten zaghaft frühlingsversprechenden Nachmittage im März 2016. Ort der Begegnung: der mit Büchern, Bildbänden, fernöstlichen Kunstgegenständen und einem monströsen Film-Schneidetisch aus den 70er Jahren ausgestattete Arbeitsraum der Dyhrenfurthschen Wohnung in Salzburg.

Das Lächeln des Dalai Lama segnet auf einer großformatigen Fotografie den Raum, in einer gegenüberliegenden Wandnische der Bibliothek steht die Bronzebüste seines Vaters, geschmückt mit einer tibetischen Ehrenschleife. Dass diese blütenweiße „Katha“ wiederum eine Gabe seiner Heiligkeit ist, bestärkt nur den Eindruck, dass in Professor Dyhrenfurths Leben Details miteinander korrespondieren, sich die Dinge zu einem großen Ganzen gefügt haben.

Im Vorzimmer zum Büro hängen gerahmte Ehrungen, Medaillen und kleinere Hinweise auf die Meriten des internationalen Expeditionsleiters: Der erste Dollar von weiteren US$ 430 000. -, die er für die Everest-Überschreitung von 1963 sammelte. Urkunden der Geographic Society of Philadelphia, die von John F. Kennedy verliehene Hubbard-Medaille der National Geographic Society, der goldene Teller der American Academy of Achievement und der Tenzing-Norgay-Award des Explorers Club.

Allesamt materielle Erinnerungen an die Höhen von Norman Dyhrenfurths Forscher-Laufbahn und an die vom Sturmwind umspielten Höhen des Himalaya. Dyhrenfurth: „Die Berge sind meine ehrliche Liebe. Nur so kann ich es sagen. Diese Liebe habe ich von meinem Vater geerbt.“

Schon Normans Vater, der schlesische Geologe und Alpinist Günter Oskar Dyhrenfurth, von der Familie liebevoll ironisch ‘God’ genannt, und seine Mutter Hettie, eine faszinierende, mondäne Frau, laborieren am sogenannten Himalaya-Fieber und unternehmen ausgedehnte Forschungsreisen nach Hoch-Asien.

An das Klettern und Bergsteigen führte G. O. Dyhrenfurt seine Frau schrittweise heran. Norman Dyhrenfurth: „Bevor meine Eltern heirateten, wurde Hettie, die von Haus aus sportlich und eine ausgezeichnete Tennisspielerin war, von meinem Vater auf Höhentauglichkeit geprüft – beim Baumkraxeln und am Berg. Nach ihrer Hochzeit unternahmen sie eine Tour aufs Matterhorn, aber getrennt – von zwei Seiten: Mein Vater kam mit ein paar Kameraden von der italienischen Seite, meine Mutter mit einem Bergführer aus Zermatt über den Hörnligrat. Am Gipfel trafen die beiden dann zusammen.“

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Expeditionslager
Das Dyhrenfurth’sche Expeditionslager 1934 am Baltoro. Rechts im Hintergrund: der Gasherbrum IV von seiner weniger bekannten Süd-Ostseite

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Bereits 1930 führt G.O. Dyhrenfurth eine Expedition durch, um eine Aufstiegsroute an der vergletscherten Nordseite des Kangchendzönga-Massivs (8586 m) zwischen Nepal und Sikkim zu suchen.

Vier Jahre später organisiert das Ehepaar eine Forschungsreise in den hintersten Winkel des Baltoro-Gletschers in Gilgit-Pakistan, und schlägt ein Base Camp am Fuß des damals noch unbestiegenen Hidden Peak (Gasherbrum I, 8080 m) auf. Dabei gelingen wichtige Reconnaissancen in der Gasherbrum-Gruppe, sowie die Erstbesteigungen des Golden Throne (Baltoro Kangri, 7260 m) und des Queen Mary Peak (Sia Kangri, 7422 m). Auf dessen Westgipfel (7300 m) stellt Hettie einen Höhenweltrekord der Frauen auf, der erst zwanzig Jahre später von der Französin Claude Kogan am Achttausender Cho Oyu gebrochen werden wird.

Als kinematografisches Bonusmaterial bringt die Expedition Aufnahmen für den Spielfilm Dämon des Himalaya aus dem Karakorum und aus den weltfernen Klöstern der ehemals westtibetischen Provinz Ladakh mit.

Hettie's erfolgreicher Reisebericht vom Dach der Welt.
Memsahb im Himalaja: Hetties erfolgreicher Reisebericht vom Dach der Welt

Unter den weltbesten Bergsteigern gilt G. O. Dyhrenfurth seither als wissenschaftliche Eminenz, nicht zuletzt durch seine beiden Standardwerke der Besteigungschronik von Kangchendzönga und Nanga Parbat, sowie Zum dritten Pol und Baltoro – Ein Himalaya Buch mit reichhaltigen kartografischen Beilagen.

In diese Epoche fällt auch eine bergsteigerische Initiation des jungen Norman Dyhrenfurth auf einer gemeinsamen Traversierung der Mont-Blanc-Gipfel von Westen her: „Diese Tour wurde eine Art Reifeprüfung für mich. Mein Vater war in seinem Alter schon ein bisschen schwer und behäbig und so bat ich ihn, auf dem Dent du Géant (4013 m) die Führung übernehmen zu dürfen. Ich dachte, wir beide würden noch viele Bergtouren gemeinsam unternehmen, aber leider war das die erste und letzte. Dann kam der Zweite Weltkrieg und ich sah meinen Vater 15 Jahre lang nicht mehr.“

1936 werden die Dyhrenfurths für ihre Leistungen im Alpinismus bei der Olympiade in Berlin mit der Goldmedaille ausgezeichnet. Doch schon bald bekommt das Ehepaar aufgrund seiner internationalen Ausrichtung und Hetties jüdischer Vorfahren die Härte der Nazi-Diktatur zu spüren.

Zunächst wandert die Familie in die Schweiz aus, aber bereits 1936 geht Hettie mit ihren Aufzeichnungen von der Karakorum-Expedition und mit ihrem Buch M’sahib im Himalaja auf eine sich immer länger ausdehnende Vortragsreise in die USA, wohin ihr kurze Zeit später die drei Kinder folgen. Der leidenschaftliche Europäer G.O. wird bis zu seinem Tod 1975 in der Schweiz leben.

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Norman Dyhrenfurth hingegen blüht in der historisch jungen, wirtschaftlich viel versprechenden Atmosphäre Manhattans richtiggehend auf, ergreift mit beiden Händen berufliche Chancen — natürlich auch aus der Verlegenheit heraus, sich als unbemittelter Einwanderer im Land der unbegrenzten Möglichkeiten beweisen zu müssen: „Ich war gezwungen, gleich vom ersten Tag an zu lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Über meine Mutter kam ich jedoch sehr schnell an einen Job als Skilehrer in New Hampshire; dort arbeitete ich während der ersten beiden Winter. Im Sommer verdiente ich das dringend notwendige Geld an der Wall Street als bescheidener Sekretär einer deutschen Brokerfirma. Die stellten sich jedoch sehr bald als überzeugte Nazis heraus!“

Danach arbeitet er als Bergführer in den Grand Tetons, tingelt mit sportbegeisterten Freunden quer durch die USA, von einem Nationalpark zum nächsten.

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Norman beim Klettern in den Grand Tetons.
Neue Wege: Norman bei einer Erstbegehung in den Grand Tetons

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1938 wird Dyhrenfurth, der bei Bergfilm-Legende und Familienfreund Hans Ertl die Grundlagen des Filmens gelernt hat, als Kameramann für die Erstbesteigung des Viertausenders Mount St. Agnes in Alaska engagiert. Unter widrigsten Umständen – die Abfahrt mit dem Auto ins 6000 km entfernte Alaska beginnt gleich einmal mit einem Unfall – glückt die Unternehmung, die von der Harvard Universität und der National Geographic Society organisiert wird.

Die Faszination für das Filmen in den Bergen war schon in Teenager-Tagen geweckt worden. Dyhrenfurth: „Ein wichtiger Punkt meiner Entwicklung war der Stummfilm Die weiße Hölle des Piz Palü, ein dramatischer Streifen des Skifilmpioniers Arnold Fanck (1929; Anm.) mit Gustav Diessl und Leni Riefenstahl. Als ich den Film sah, war ich gerade in Zürich am Gymnasium. Bereits damals habe ich mir gedacht: Genauso etwas würde mich beruflich interessieren.“

Im zweiten Weltkrieg meldet sich Norman Dyhrenfurth als Freiwilliger, kommt vor den Aleuten gegen die Japaner zum Einsatz und wird 1945 in den Rang eines Captain der US-Army erhoben. Mittlerweile amerikanischer Staatsbürger und verheiratet, hält er sich zeitweilig mit ungeliebten Bürojobs über Wasser.

Doch seine Glückssträhne hält an: Von 1948 bis 1953 führt er einen Lehrauftrag in den Fächern Kameraführung, Dokumentar- und Spielfilm an der UCLA in Santa Monica, Kalifornien, aus und wird bereits nach einem Jahr Leiter der Filmabteilung. Dort unterrichtet er unter vielen anderen Filmstudenten Marilyn Monroe, die er wegen ihres legeren Auftretens im Schlabberpulli und mit getönten Brillen zuerst gar nicht bemerkt. Er lernt Alfred Hitchcock kennen; außerdem gelingen ihm Veröffentlichungen im renommierten American Alpine Journal.

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Norman Dyhrenfurth als Leiter der Filmabteilung, Universität von Kalifornien, Los Angeles 1950
Norman Dyhrenfurth als Leiter der Filmabteilung, UCLA, Los Angeles 1950

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Dennoch war der American Way of Life für den Mitteleuropäer gewöhnungsbedürftig: „Bei Partys etwa, zogen sich die Frauen mit den Kindern ins Wohnzimmer zurück, während sich die Männer in der Küche oder im Rauchersalon an Whiskey und Zigarren hielten. Und dann die Segregation: Während meiner Ausbildungszeit in Fort Benning in Georgia war ich mit zwei Schwarzen in einer Baracke untergebracht. Das waren prima Burschen und ohne Zweifel auch gutes ‘Offiziersmaterial’, und so wäre ich gern am Wochenende mit ihnen in der Stadt um die Häuser gezogen, doch so etwas war erst unter der Präsidentschaft Kennedys möglich.“

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Im Herbst 1952 geht Norman Dyhrenfurth als Kameramann mit einer Schweizer Expedition erstmals zum Mount Everest. Es ist der Beginn einer langen Freundschaft. Die Erstbesteigung des Giganten gelingt zwar erst der britischen Expedition mit Edmund Hillary und Tenzing Norgay im Jahr darauf, doch die Schweizer leisten mit der Durchquerung des Spaltengewirres am Khumbu-Gletscher elementare Vorarbeit für den Gipfelgang von 1953. Den Film dazu produziert der Universitätsprofessor aus vertraglichen Gründen unter dem Pseudonym Dr. Futer.

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Einer der Bücher-Schätze aus der Dyhrenfurthschen Bibliothek: Der Bildband über die Everest-Expedition 1952. Das Titelmotiv zeigt die geriffelten Eiswände des Nuptse

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Nach der Rückkehr zum Schreibtischposten an der UCLA hält es Norman jedoch keine ganze Arbeitswoche mehr im akademischen Elfenbeinturm, und er verschreibt sich von nun an dem Organisieren, Finanzieren und Dokumentieren von Bergexpeditionen zu den höchsten Gipfeln der Welt. Somit tritt er das Himalaya-Erbe seines Elternhauses mit vollem Einsatz an.
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1955 leitet Dyhrenfurth eine internationale Expedition zum Everest-Trabanten Lhotse (8516 m), bei der Schweizer, Österreicher und Amerikaner eine Höhe von 8000 m erreichen; 1958 macht er sich im Rahmen der Slick-Johnson-Snowman-Expedition ebenso ernsthaft wie ergebnislos auf die Suche nach dem Yeti, wird zeitweilig Moderator der wöchentlichen TV-Show Expedition!, und bringt einem staunenden US-Publikum die Kultur der Bergvölker Nepals näher – besonders die der Sherpa im Solu-Khumbu-Gebiet.

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Norman Dyhrenfurth bei Dreharbeiten für den Expeditionsfilm "Dhaulagiri" 1960
Norman Dyhrenfurth, 1960, bei Dreharbeiten am Dhaulagiri in Nepal

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Als der gewaltige „weiße Berg“ Nepals, der Dhaulagiri (8167 m), im Frühling 1960 durch eine Internationale Schweizer Expedition unter der Leitung von Max Eiselin erstbestiegen wird, ist Norman Dyhrenfurth als Kameramann dabei. Die in zwei Teams aufgeteilte Mannschaft wird durch die Bruchlandung des Transport- und Verbindungsflugzeugs vom Typ Pilatus PC-6, genannt „Yeti“, getrennt. Somit ist Norman der Weg zum Gipfel verwehrt.

Dennoch gelingt die Erstbesteigung des umstürmten Kolosses an einem überraschend windstillen Mai-Tag. Im Gipfelteam ist auch der Österreicher Kurt Diemberger, der somit als einziger (lebender) Mensch zwei Achttausender erstbestiegen hat.

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Der Dhaulagiri, gesehen von Muktinath in der Gegend von Lower Mustang. Die Aufstiegsroute der Erstbesteigung, die heute als Normalweg begangen wird, verläuft rechts der Bildmitte, entlang des scharf schattierten Grates links vom mächtigen Hängegletscher
©Nepal Mountain Club

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Hat es bei all diesen gewagten Projekten jemals lebensbedrohliche Momente gegeben? Dyhrenfurth: „Beim Bergsteigen habe ich immer Glück gehabt. Ich bin nie abgestürzt oder in eine Spalte gefallen. Nur einmal war ich in einer Staublawine, die vom Nuptse herunterkam, und das gesamte Western Cwm (walisische Bezeichnung für das breite Gletscher-Bassin an der Südwestseite des Mount Everest, auch bekannt als Valley of Silence; Anm.) einstaubte. Wie durch ein Wunder wurde ich nicht verschüttet, so wie alles andere rund um mich herum. Ich war nur ein bisschen angestaubt.“

1963 vollbringt Dyhrenfurth als Leiter, Fundraiser und Filmer einer amerikanischen Expedition „eine der großen alpinistischen Taten, revolutionär und zukunftsorientiert“, so Reinhold Messner: die erste Überschreitung des Mount Everest in zwei Teams, über zwei Routen — eine davon, jene über den Westgrat und das nach Expeditionsmitglied Tom Hornbein benannte Couloir, bislang unbegangen.

In seiner Funktion als Kameramann – der zweite Filmer kommt physisch mit der Höhe nicht mehr zurecht und erleidet eine Thrombose – schafft es Dyhrenfurth selbst bis auf eine Höhe von 8700m, bevor er wieder absteigt, um dem Westgrat-Team (Willi Unsoeld und Tom Hornbein) beim Abstieg über die Normalroute genügend Flaschensauerstoff zu überlassen.

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Überschreitung des Giganten: Die amerikanische Everest-Expedition 1963 unter der Leitung von Norman Dyhrenfurth, zehn Jahre nach der Erstbesteigung durch Hillary/Norgay. Die orange Linie ist im oberen Teil durch den Südwestsporn verdeckt
©dreamwanderlust

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Das Everest-’63-Team wird vom Indischen Premierminister Nehru Willkommen geheißen und nach seiner Rückkehr von Präsident Kennedy geehrt — für Norman Dyhrenfurth der Höhepunkt seiner Berufslaufbahn. Aus dem Filmmaterial entsteht die Dokumentation Americans On Everest, erzählt von niemand geringerem als Orson Welles.

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Alle oder keiner: John F. Kennedy (r.) überreicht die Hubbard-Medaille, die auf Ansuchen Normans (l.) nicht nur an ihn, sondern an sämtliche Expeditionsmitglieder verliehen wurde – auch an die Sherpa

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Nach dem Everest gibt es zwar keine höheren, aber noch einige schöne Berge. Dyhrenfurth: „Friedrich Schiller hat einmal aus dem Fenster geschaut und einen schönen Berg gesehen. Es ist ihm gelungen, ihn zu besteigen. Doch als er oben war, sah er weitere Berge: schönere und höhere. Das ist das Leben.“

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Ende der 60er Jahre kehrt Norman Dyhrenfurth wieder nach Europa zurück: Das nach der Ermordung der Kennedys aus den Fugen geratende Amerika ist ihm nicht mehr geheuer. Als Bob-Dylan-Fan versteht er die Anliegen der Jugend und der schwarzen Bevölkerung. Doch als gesellschaftlich etablierter Mittvierziger findet er sich plötzlich zwischen den ideologischen Fronten der Zeit wieder.

Auch sind seine beruflichen Aussichten nicht mehr so rosig: „Nach meiner erfolgreichen Everest-Expedition 1963 wurden wir zwar von Präsident Kennedy geehrt, doch ich erhielt nie mehr gute Job-Angebote, außer als Fundraiser, weil ich im Vorfeld der Expedition bewiesen hatte, dass ich ganz gut im Geldeinsammeln war. So populär war Bergsteigen damals eben doch nicht für die Amerikaner. Wäre ich ein berühmter Baseball-Spieler gewesen, hätten sich sicher viele Türen und Tore geöffnet, doch schon bald interessierte das Thema nicht mehr und man begann, die öffentliche Aufmerksamkeit bereits auf die Mondlandung zu verschieben.“

Zurück in der alten Welt lernt er die ehemalige Profiskirennfahrerin und 15-fache österreichische Golf-Staatsmeisterin Maria Sernetz kennen, die bis zu seinem Tod seine Lebensgefährtin bleiben wird.

Ein weiteres mal noch, 1971, leitet der unermüdliche Explorer eine Expedition zur Südwestflanke und zum Westgrat des Mount Everest, die allerdings aufgrund der unterschiedlichen Charaktere der primadonnenhaften Protagonisten nicht gelingt und zudem ein Todesopfer, Harsh Bahaguna aus Indien, fordert.

Dennoch erfüllt er mit dieser Unternehmung ein zentrales Vermächtnis seiner Familie: Die international zusammengestellte Expedition — heute ein Ding der Normalität, wenn man denn in der extremen Welt der Berge überhaupt von Normalität sprechen kann. Die Dyhrenfurth-Expeditionen können, gemeinsam mit den Forschungsreisen von Luigi Amedeo di Savoia um die Wende zum 20. Jahrhundert, als Pionier-Leistungen grenzüberschreitender Teambildungen bezeichnet werden.

Und Norman Dyhrenfurth selbst ist als im heutigen Polen geborener Spross einer deutschen Familie, und als in Österreich lebender Schweizer mit amerikanischem Pass, der seine Asche nahe des nepalesischen Klosters Tengboche bestattet wissen will, die klassische Personifikation einer globalen Seele.

 

Norman G. Dyhrenfurth in seinen späten Neunzigern. © W. Schweinöster
Heller Lebensabend: Norman G. Dyhrenfurth in seinen späten Neunzigern
© Walter Schweinöster

 

In den 70er und 80er Jahren sollte Norman Dyhrenfurth keine neuen Forschungsreisen mehr unternehmen, jedoch begleitet er 1986 die letzte Expedition des umstrittenen Dr. Karl Herligkoffer zum Broad Peak (8051 m) und zum K2 (8611 m) als Fotograf und Kameramann.

Danach dreht er einfühlsame und bei Festivals viel beachtete und ausgezeichnete Dokumentarfilme über tibetische Totenrituale, den Dalai Lama und das Konzept der Reinkarnation.

Auch bei Hollywood-Produktionen wird der Bergfilm-Pionier als Berater und Second-Unit-Regisseur für Kletterszenen verpflichtet: So entsteht 1974 der Vertikal-Thriller The Eiger Sanction (auf deutsch: Im Auftrag des Drachen; Anm.) von und mit Clint Eastwood, der es sich nicht nehmen lässt, einige der haarsträubenden Szenen ohne Double zu spielen und dafür auch das notwendige Fitness-Level mitbringt. Die türkis-grünen Hanteln, die ihm Eastwood nach dem Dreh freundschaftlich überlässt, liegen heute noch unter Normans Arbeitstisch.

Auch der gebürtige Altösterreicher Fred Zinnemann, der 1952 mit dem Western High Noon Filmgeschichte schrieb, klopft 1981 bei Dyhrenfurth an und überträgt ihm die Aufgabe, die Bergszenen am Piz Palü im Liebesdrama Five Days One Summer (deutscher Verleihtitel: Am Rande des Abgrunds; Anm.) mit Sean Connery so authentisch wie möglich aussehen zu lassen. Heute lässt sich nicht leugnen, dass, von der Augenbrauenakrobatik Connerys abgesehen, besagte Kletterszenen wohl das überzeugendste am gesamten Film sind.

Überzeugungskraft, gekuppelt mit einem fröhlichen Enthusiasmus, ist zeit seines Lebens eine der zentralen Aspekte der Persönlichkeit von Norman Dyhrenfurth.

Wie sonst stellt man eigenhändig fast eine halbe Million Dollar für eine große Everest-Expedition auf? Wie gewinnt man das Vertrauen von zwanzig Bergsteiger-Ehefrauen und -freundinnen, denen man ihre Männer für eine gefährliche Fahrt zum höchsten Berg der Erde vorübergehend ausspannen muss? Was gibt dem Gipfelteam in der Todeszone den moralischen Rückhalt im Wissen um die richtigen Entscheidungen des Expeditionsleiters im Basislager?

Die Antworten darauf kennt kaum jemand so gut wie Norman Dyhrenfurth. Doch er selbst ist zu zurückhaltend, sie für sich selbst ins Feld zu führen. Genauso findet er es undemokratisch, wenn sich ein Expeditionsleiter auf den Gipfel vordrängt, wofür es auch schon prominente Beispiele gegeben hat.

Der bekannte englische Bergsteiger und Forscher Sir Chris Bonington über Norman Dyhrenfurth: „Norman ist ein Verwirklicher; jemand, der mit Zuversicht ein großes Unterfangen tragen kann. Er ist ein natürlicher Anführer, fürsorglich und absolut selbstlos. Er möchte, dass sich alle Expeditionsteilnehmer rund um ihn herum wohlfühlen.“

Das ist es wohl, was man in seiner vornehmsten Bedeutung leadership nennen könnte – am Beispiel der Lebensgeschichte von Norman G. Dyhrenfurth sogar auf allerhöchster Ebene.

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Das buddhistische Kloster Tengboche im Solu Khumbu, Nepal. Rechts am Horizont, die unverwechselbare Berggestalt der Ama Dablam (6814 m). Links im Hintergrund: Nuptse- und Lhotse-Südwand und der Mt. Everest (8848 m) mit mächtiger Schneefahne
©wiki commons

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BONUS:

Zeitgenossen: Norman Dyhrenfurth über…

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Herbert Tichy: „Nachdem er 1954 (gemeinsam mit Sherpa Pasang Dawa Lama und Sepp Jöchler; Anm.) den Cho Oyu (8201 m) erstbestiegen hatte, sandte er meinem Vater Panorama-Skizzen, der daraufhin ganz entsetzt war, weil ein paar Berge nicht korrekt benannt waren. Doch Tichy war ja eigentlich Geologe, da haben ihn manche Bergnamen wohl nicht so interessiert. Die Sherpa von Namche Bazaar (Hauptort des Solu Khumbu in Nordost-Nepal; Anm.) erzählten immer lachend davon, wie betrunken Tichy nach der Besteigung war. Das erfolgreiche Team wurde am Rückweg in jedem Dorf gefeiert und mit Chang (Tibetisches Gerstenbier; Anm.) abgefüllt. Der Alkohol mit seiner konservierenden, keimtötenden Wirkung könnte ihn auch vor weiteren Amputationen bewahrt haben, da er sich immerhin einen Finger am Cho Oyu abgefroren hatte.“

Hermann Buhl: „Buhl lernte ich kennen, als er gemeinsam mit Hans Ertl nach seiner einzigartigen Nanga-Parbat-Erstbesteigung 1953 meinen Vater in der Schweiz besuchte. Er hoffte, mich als Kameramann für eine Expedition in den Karakorum zu gewinnen, wo er den Muztagh Tower (7276 m) besteigen wollte, einen besonders imposanten Berg. Leider kam dieses Projekt dann aber nicht zustande, und er wandte sich bald darauf gemeinsam mit Schmuck, Wintersteller und Diemberger dem Broad Peak (8051 m) zu, einem der letzten damals noch unbestiegenen Achttausender in Pakistan. Hermann Buhl war sehr ruhig, sehr ehrgeizig und ein Extremer – die gehen unangeseilt in ihrem eigenen Tempo. “

Clint Eastwood: „Mit ihm drehte ich im Spätsommer 1974 gemeinsam Szenen in der Eiger Nordwand für seinen Thriller The Eiger Sanction (auf deutsch: Im Auftrag des Drachen; Anm.). Ich holte ihn am Flughafen Zürich ab und er ging noch in der Stadt Gewichte kaufen, um während des anstrengenden Drehs fit zu bleiben. Er wuchtete die Kiste mit den Hanteln in den Kofferraum meines Porsche, aber als der Concierge an der Kleinen Scheidegg unser Gepäck ins Hotel tragen wollte, konnte der die Kiste nicht einmal aufheben. Clint schulterte sie und ging im Laufschritt, ohne mit der Wimper zu zucken, zur Rezeption. Er war zwar kein großer Bergsteiger, aber ein Mordsbursche! Nach dem Dreh schenkte er mir die Hanteln und noch heute trainiere ich mit ihnen.“

John F. Kennedy: „Erstens einmal hatte ich ihn gewählt und war erfreut, als er 1961 Präsident wurde. Als wir dann zwei Jahre später von der geglückten Everest-Expedition zurückkamen, wurde das gesamte Team mit sämtlichen Ehefrauen im Weißen Haus empfangen. Dabei verbrachte ich eine halbe Stunde mit ihm im Oval Office und lernte ihn als Mensch zu schätzen. Als er 1963 ermordet wurde, war ich gerade in der Schweiz. Nun sind die Schweizer ja nicht als leicht rührseliges Volk bekannt, aber wo immer ich in den folgenden Tagen hinkam, weinten die Leute. Und auch sonst überall hatten die Menschen gehofft, dass die Welt nun besser werden würde – niemand konnte verstehen, warum er so plötzlich tot war. Ob die Welt besser geworden wäre, kann man heute natürlich nicht sagen, aber wir versprachen uns alle so viel von ihm… mir kommen jetzt noch die Tränen.“

Dalai Lama: „Ein ganz großartiger Mensch. Viele Leute glauben dummerweise, weil er so viel lacht, sei er primitiv. Aber das ist natürlich nicht so, der Dalai Lama ist hochintelligent. Und er hätte allen Grund nicht zu lachen: Die Chinesen haben schließlich mehr als 1,2 Millionen Tibeter umgebracht. Wir arbeiteten 1992 zusammen an meinem Dokumentarfilm Samsara – Ein Tibetisches Erbe. Nach der letzten Szene, die wir drehten, sagte ich spaßeshalber zu der Gruppe von Tibetischen Flüchtlingskindern, zu denen er gesprochen hatte, „Okay, thank you! Class dismissed, but not you, Your Holiness!“ Da kam er mit seinem breiten Lächeln zu mir herüber, legte seinen Arm um mich und wir unterhielten uns eine halbe Stunde lang, am Rasen sitzend. Ich bin von ihm begeistert, als Mensch.“

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Bücher, Artikel und Filme über Norman G. Dyhrenfurth:

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Andreas Nickel ::: Himalaya. Norman Dyhrenfurth: Expeditionen und Filme 1952–1971 (AS Verlag, Zürich, 2007)

 

Andreas Nickel und Jürgen Czwienk ::: Zum dritten Pol (Dokumentarfilm über die Familie Dyhrenfurth, Deutschland, 2007)

 

Norman Dyhrenfurth ::: The Mountain of Storms (Expeditionsbericht über die Erstbesteigung des Dhaulagiri im American Alpine Journal, 1961)

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Fotos (falls nicht anders gekennzeichnet): Archiv Norman Dyhrenfurth