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::: Modesty Blaise :::

VERMÄCHTNIS EINER LADY

 

Sie kennen das Gefühl. Sie sitzen in gemütlicher Runde. Das Feuer knistert, das Essen ist bestens, die Konversation perlt und dennoch werden Sie den Gedanken nicht los, dass Sie bereits zu Hause im Bett liegen könnten, um das Buch weiterzulesen, das Sie nicht loslässt.

Diese unbändige Vorfreude haben Sie schon lange nicht mehr gespürt? Dann lassen Sie sich von den Romanen und Comics über Modesty Blaise überraschen.

Sie sind mindestens so spannend und gut geschrieben wie Ian Flemings Bond-Bücher, samt schlagfertigen Dialogen, widerwärtigen Bösewichten, ausweglosen Situationen und Schauplätzen rund um die Welt. Darüber hinaus aber auch mit einer humanistischen Weisheit und Wärme, die 007 als das erscheinen lässt, was er ist: ein kalter Krieger.

13 fesselnde Thriller schrieb Modesty-Blaise-Schöpfer Peter O’Donnell. Dazu kommen noch kilometerweise Comicstrips, die zwischen 1963 und 1996 für den Evening Standard entstanden. Titan Books hat gerade die gesammelten Strips mitsamt wertvollem Bonus-Material herausgebracht und somit dafür gesorgt, dass eine dunkle Perle der britischen Popkultur nicht in Vergessenheit gerät.

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(2019 auf Comic.de – Das Magazin für Comic-Kultur erschienenUrsprünglich auf Englisch für The White Buffalo Gazette)

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Der Comicstrip Modesty Blaise folgt den geheimen Abenteuern einer raffinierten jungen Dame. Sie ist die ehemalige Leiterin eines internationalen Verbrechernetzwerks im Ruhestand und mit fabelhaftem Reichtum gesegnet. Nun langweilt sie sich. Deshalb stellt sie ihre beträchtlichen Talente dem britischen Geheimdienst für Undercover-Arbeit zur Verfügung – mit kräftiger Unterstützung ihres treuen Leutnants, Willie Garvin.

Modesty Blaise und Willie Garvin sind ein literarisches Paar, doch sie sind vollständig und menschlich. Ihre Persönlichkeiten haben Gegenwärtigkeit, Tiefe und Nuancen. Sie leben. Für ein Comicstrip-Paar ist das bemerkenswert.

Modesty und Willie wurden auch in 13 Romanen und zwei Sammlungen von Kurzgeschichten inkarniert, in denen ihre Persönlichkeiten vollständiger ausgearbeitet waren als im Comicstrip.

Das erste Mal stolperte ich mit 14 über den Namen Modesty Blaise. Auf den letzten Seiten eines James-Bond-Comics, den Werbeseiten für das Programm des Wiener Pollischansky Verlags. Aus der gezeichneten Anzeige, die sich auf ein Paar wohlgeformter Beine in stilvollen Stilettos und den Titel Die Lady schlägt zu beschränkte, schloss ich, dass Modesty Blaise eine Art James-Bond-Frau sein musste.

Ich ahnte noch nicht, dass mir ihre Abenteuer einmal mehr bedeuten würden, als die von 007 und ich war ein 007-Fan, der sämtliche Filme nach ihrem Erscheinungsjahr ordnen konnte. Doch ich beschloss, älter und (hoffentlich) reifer zu werden, bevor ich mich an Modesty Blaise heranwagen würde.

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Modesty Blaise ist eine viel komplexere und faszinierendere Figur als James Bond. Sie ist die Erfindung eines englischen Comic-Autors namens Peter O’Donnell (1920 – 2010). In den frühen 1960er Jahren baten ihn Redakteure, eine neue Figur zu kreieren, und er entschied, „dass es an der Zeit war, dass jemand aufwachte und eine Frau hervorbrachte, die in der Lage sein würde, alle Heldenaufgaben zu erledigen – vielleicht sogar besser als die meisten Männer.“

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„Lange Zeit vor Buffy, vor Charlie’s Angels, vor Purdy und Emma Peel gab es eine Superheldin und ihr Name war Modesty Blaise.“

–The Observer

 

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Zu O’Donnells großer Enttäuschung wurde sie jedoch von Beginn an mit James Bond verglichen, der 1962 mit Dr No sein Leinwanddebüt gefeiert hatte. Doch Bond und Blaise könnten kaum unterschiedlicher sein. Über Bonds Leben wissen wir nur fragmentarisches, es beginnt und endet mit jeder Mission.

Modesty dagegen existiert in einer voll verwirklichten Welt, in der Häuser (insbesondere ihr prächtiges Penthouse mit Blick über den Hyde Park), Freunde, Liebhaber und eine Reihe von Interessen wichtige Rollen spielen. So besucht sie gern Bauernmärkte, reitet, fechtet und übt Kampfsport auf hohem Niveau. Sie meditiert, putzt sich gern heraus, geht ins Theater, sammelt Kunst und orientalische Teppiche, schneidet Edelsteine ​​und rettet Tiere. Besonders Eseln gehört ihr Herz.

Sie betritt nie eine Szene ohne eine genaue Beschreibung von dem, was sie trägt, bis hin zu ihren Schuhen. O’Donnell behauptete, der Schlüssel zu ihrem Charakter sei, dass sie zwar unglaublich kampftauglich und – wenn die Situation es erfordert – tödlich ist, aber auch außerordentlich feminin.

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Die amerikanische Schriftstellerin Caitlin Flanagan: „Modesty Blaise war in dem Jahr, in dem ich 15 Jahre alt war, mein geheimes Ich, das Thema leidenschaftlicher Tagträume und die erste weibliche Figur, der ich begegnete, die für etwas anderes als eine Krankenstation, eine Schule oder einen Haushalt verantwortlich war. Sie leitete eine Organisation voller gefährlicher Männer und sie alle gehorchten ihr und verehrten sie. Sie würde genau wissen, was sie mit einem Harvey Weinstein oder einem Matt Lauer machen sollte, und es wäre eine Freude, ihr dabei zuzusehen. Ein halbes Jahrhundert vor Beyoncé war Modesty nicht herrisch. Sie war die Chefin.“

Natürlich ist Modesty auch eine sexy Chefin. Aber in erster Linie ist es der Einfallsreichtum von O’Donnells Handlungen, der den Reiz der Serie ausmacht: die abrupten Wendungen und Cliffhanger, an denen O’Donnell seine Leser suspendiert, die Neuartigkeit seiner Charaktere und ihrer gruseligen Antagonisten.

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„Sie stand ein paar Sekunden da und dann schenkte sie uns ein Lächeln, mit dem man ein kleines Dorf erleuchten hätte können.“

–Peter O’Donnell

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Modestys Entstehung entsprang einer von O’Donnells Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg. Als er in einer kleinen Funkabteilung in der Nähe des Kaukasus, an der Grenze zwischen Iran und Irak, stationiert war, fiel ihm ein kleines Mädchen auf, das etwa zehn Jahre alt war und an einem Flussufer entlang lief. Sie war ganz allein, in Lumpen gekleidet und trug eine kleine selbst gemachte Waffe: ein Stück Holz, durch das ein Nagel getrieben war.

 

 

O’Donnells Kameraden boten dem Mädchen Essen an und sie nahm schließlich etwas davon an, vorsichtig und die Distanz wahrend. O’Donnell vermutete, dass sie von irgendwo auf dem Balkan geflüchtet war. Auch musste sie seit geraumer Zeit auf sich allein gestellt sein, weil sie so gar nicht verwirrt und verängstigt wirkte.

„Sie war ihre eigene Person, dieses kleine Mädchen“, erzählt O’Donnell in seinem Essay Girl Walking: The Real Modesty Blaise, „und nachdem sie aus unserem Feldgeschirr gegessen hatte, wusch sie es im Bach aus und wischte es mit Sand ab. Sie stand ein paar Sekunden da und dann schenkte sie uns ein Lächeln, mit dem man ein kleines Dorf erleuchten hätte können. Dann sagte sie etwas auf Arabisch und setzte ihre einsamen, gefährlichen Wanderungen durch die Wüste fort. Sie schien vollkommen unabhängig und ging wie eine kleine Prinzessin. Ich habe sie nie vergessen und als ich einen Hintergrund für Modesty Blaise brauchte, wusste ich: Dieses Kind ist der Ursprung ihrer Geschichte.“

Und so schrieb er die Geschichte dieses Flüchtlingskindes weiter: Verwaist, namen- und staatenlos wandert die kleine Heldin jahrelang durch den Nahen Osten und Nordafrika, wo sie auf den Basaren stiehlt oder mit Nomaden unter freiem Himmel lebt.

Sie wird die Beschützerin eines brillanten, aber wehrlosen alten Mannes, Lob, ein ungarischer Professor, der fünf Sprachen beherrscht. Er unterrichtet sie, sie verteidigt ihn mit ihrem Nagelholz, und so werden sie einander wie Großvater und Enkeltochter. Nach seinem Tod landet sie in Tanger, wo sie mit 19 Jahren ein Syndikat übernimmt, es in The Network (dt. „das Netz“) umbenennt und zur unerschütterlichen Chefin sehr harter Männer wird, die sie „Mam’selle“ nennen.

Die Waffen ihrer Wahl: Kleinkaliber, Karate, Judo, Pfeil und Bogen, sowie ein kleines, doppelköpfiges Yawara-Holz, auch „Kongo“ genannt, das sie gern in ihrer Beehive-Frisur verbirgt. Dazu Menschenkenntnis, Strategie und die Konzentration auf eine bestimmte Art von Verbrechen: Juwelen- und Bankraub, Spionage und Handel mit geheimen Informationen. Niemals Drogen-, Waffen- oder Menschenhandel. Niemals etwas, das Frauen oder Kinder verletzen könnte.

Modestys Stellvertreter im Netz ist ein Mann namens Willie Garvin, ein ehemaliger Fremdenlegionär mit Cockney-Hintergrund, den sie vor Jahren in einem Thai-Box-Ring in Bangkok entdeckte. Er hatte vor dem Kampf kurz nach oben geschaut und ein europäisches Mädchen in einem weißen Leinenkleid gesehen, das ihn beobachtete, klug und souverän. Sie wiederum sah in ihm nicht nur erstaunliche körperliche, sondern auch beeindruckende geistige Fähigkeiten und eine vermutlich angeborene Art von Selbstbewusstsein. Also rettete Modesty Willie aus seinem desperaten Leben und gab ihm die Gelegenheit, etwas aus sich zu machen.

Und siehe da, sechs Monate später taucht ein völlig neuer Willie Garvin auf – ein Mann von Charme und Zuversicht, der durch sein Wissen, dass jemand an ihn glaubt, gestärkt wird. Seine Eigenart: passend zur Situation Psalmverse zu sprechen, die er während eines Gefängnisaufenthaltes auswendig lernte. Sein Hobby: Perlentauchen in aller Welt. Garvin spricht neben dem Englischen auch Deutsch, Französisch und Arabisch. Er ist ein Meister des Nahkampfes und ein begnadeter Messerwerfer. Schusswaffen schätzt er nicht sehr, „weil sie zu viel Selbstvertrauen verleihen“.

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Cartoon-Fachmann R.C. Harvey: „Ab dem Tag, an dem Modesty ihn aus dem Gefängnis freikaufte, nennt Willie sie nur „Prinzessin“, und das ist für ihn der vollkommene Ausdruck seiner Beziehung zu ihr. Sie nennt ihn „Willie love“, aber das mag für amerikanische Leser irreführend sein: Sie sind keine Liebhaber. Für die Leser in ihrer britischen Heimat bedeutet „Liebe“ hier nicht fiebrige Verehrung, sondern eine Art familiäre Zuneigung, und das ist für sie eine fast vollständige Beschreibung ihrer Beziehung zu ihm. Es ist gerade diese Transzendenz der Partnerschaft zwischen Modesty und Willie, die so zentral für das Funktionieren der Geschichten ist. Ihre Romantik ohne Romantik.“

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Willie Garvin begleitet sie als einziger bei all ihren geheimen Missionen und er ist auch der einzige Mensch auf der Welt, der alles über sie weiß. Manchmal, nach einer besonders gefährlichen Episode, weint Modesty sich ein paar Minuten in seinen Armen aus, bevor sie sich wieder sammelt und die Situation dominiert. Beide haben (jede Menge) Liebschaften, aber sie schlafen niemals miteinander, küssen sich kein einziges Mal. O’Donnell: „Es ist eine Beziehung, die Frauen besser verstehen als Männer.“

Während der sechs Jahre, die sie im Netz zusammen arbeiten, stimmen sie sich so aufeinander ab, dass beide wissen, was der andere denkt und tun wird – unter allen Umständen. Und dann, nachdem sie ein kleines Vermögen angehäuft haben, ziehen sie sich aus dem Milieu zurück.

Modesty teilt das Netz unter ihren Untergebenen auf, behält jedoch ihre Villa in den Hügeln von Tanger und erwirbt ein Penthouse in London, ein Bauernhaus in Wiltshire sowie eine geheime Zuflucht an der Steilküste von Malta. Willie nimmt eine gemütliche Kneipe an der Themse in Besitz, The Treadmill, in der er seine Waffenschmiede und ein Trainings-Dojo einrichtet.

Aber natürlich fadisieren sich beide mit ihrer neuen, ruhigen Existenz, und als Sir Gerald Tarrant vom britischen Geheimdienst MI6 unorthodoxe Hilfe in einem für ihn illegalen Unternehmen braucht, wendet er sich an Modesty und Willie. Adieu l’ennui.

Und so kommen wir am Ausgangspunkt aller Abenteuer von Modesty Blaise an.

 

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Der Modesty-Blaise-Strip begann seinen langen Lauf am 13. Mai 1963 im Londoner Evening Standard, aber Modesty hatte schon viele Monate zuvor in den hinteren Korridoren von Peter O’Donnells Fantasie gelauert. Nach einem Jahrzehnt, in dem er Cartoon-Geschichten für Männer, wie Garth und Tug Transom, produzierte und gleichzeitig romantische Romane für weibliche Leser (unter dem Alias Madeleine Brent) schrieb, hatte er überlegt, die beiden Dinge irgendwie zu „einer Superfrau, die Abenteuer der ganz großen Art erlebt“ zu kombinieren. „Sobald Modesty vollständig aufgetaucht war“, schreibt O’Donnell, „folgte dreißig Sekunden später die Gesamtheit von Willie Garvin. Er ist ein wesentlicher Teil von ihr.“

Nun musste er seiner Heldin nur noch einen Namen geben. In einem Brief von 1996 an Bill Wottlin wiederholte O’Donnell die Geschichte von Modestys Taufe: „Der Name Modesty Blaise ist für mich entstanden, lange nachdem ich ihren Charakter entwickelt hatte. Ich suchte nach einem dramatischen Namen, aber nichts gefiel mir. Doch eines Tages schrieb ich an einem Skript für Garth, als ich das Adverb „modestly“ (bescheiden) falsch schrieb und es als „modesty“ (Bescheidenheit) am Papier landete. Da wurde mir klar, dass dies der ideale antithetische Vorname für meine neue Heldin sein würde.“

„Zu der Zeit“, fährt O’Donnell fort, „las ich ein Sci-Fi-Buch von C.S. Lewis. Es hieß That Hideous Strength (1945 auch auf Deutsch erschienen, unter dem Titel Die böse Macht; Anm.) und es  handelte von der Wiederbelebung Merlins, des Zauberers aus den Tagen der Arthurianischen Legende. Hier erfuhr ich, dass Merlins Meister ein Druide namens Blaise war, ein einsilbiger Name mit feurigem Klang. Also wurde sie Modesty Blaise.“

Der kongeniale Zeichner Jim Holdaway wurde verpflichtet, O’Donnells Geschichten in Strips zu verwandeln. O’Donnell und Holdaway waren ein Dream-Team, das sich auch privat bestens verstand und gerne herumblödelte.

O’Donnell schrieb später über die Streiche, die ihm Holdaway spielte: „Manchmal öffnete sich die Tür ein paar Zentimeter und eine Stimme befahl mir, meine Waffe wegzuwerfen und mit erhobenen Händen herauszukommen. Manchmal gab er den Gaszähler mit Falsettstimme. Manchmal flog schon mal sein Hut lange vor seinem Auftritt in den Raum und einmal kündete er sich noch vor der Türe an, in dem er Zigarettenrauch durch den Postwurfschlitz in mein Büro blies.“

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Sie hätten ausgezeichnet zusammen gepasst, so O’Donnell: „Wir haben den Beitrag des anderen geschätzt und respektiert und in tiefer Harmonie gearbeitet.“ 1970 starb der große Jim Holdaway inmitten der 18. Modesty-Geschichte überraschend an einem Herzinfarkt. 15 Jahre nach Holdaways Tod schrieb O’Donnell: „Jim war ein kleiner Mann mit einer sanften Art, einem immensen Talent und einem schönen Sinn für Humor. Ich vermisse ihn noch immer.“

Die Standard-Redakteure versuchten, einen Ersatz zu finden, und sie und O’Donnell entschieden sich schließlich für einen Spanier, Enrique Badía-Romero. Die Produktion des Streifens wurde größtenteils per Post durchgeführt und machte über die Standard-Redaktion einen Umweg, damit die Skripte für den einsprachigen Romero ins Spanische übersetzt werden konnten.

Romero verließ die Serie 1978, um sich auf seinen eigenen (wenn auch stark von Modesty Blaise abgekupferten) Strip Axa zu konzentrieren. Er kehrte im Herbst 1986 zurück und fuhr fort, den Strip für den Rest seines Laufs zu zeichnen. Während seines Sabbaticals wurde Modesty kurz von John Burns, dann von Pat Wright und schließlich von Neville Colvin gezeichnet. An die cinematische Dynamik Holdaways kam am ehesten Colvin heran, obwohl ich seinen Strich etwas schludrig finde.

Am 11. April 2001 endete der Comicstrip nach fast 38 Jahren mit 10.183 täglichen Einzelstrips. Zudem hatte O’Donnell bei der Veröffentlichung des Buches Cobra Trap im Jahr 1996 gesagt, dass er keine weiteren Romane mehr über Modesty Blaise schreiben würde. Doch das ist wohl kaum das Ende von Modesty und Willie.

Wie alle anderen literarischen Helden werden sie in den Werken weiterleben, die ihnen Leben verliehen haben.

Natürlich fand der spannende Stoff auch ins Kino, nicht zuletzt durch eine Produktion von Quentin Tarantino (My Name Is Modesty, 2004, Regie: Scott Spiegel, mit Alexandra Staden in der Titelrolle), der die Rechte der ersten drei Romane aufkaufte und in Pulp Fiction (1994) seine Gangsterfigur Vincent Vega (John Travolta) einen davon auf der Toilette lesen lässt – seine letzte Lektüre.

Aber auch schon viel früher, und zwar schon 1966 wurde Modesty Blaise fürs Kino adaptiert. Gleich vorweg: Der Film mit Monica Vitti in der Titelrolle ist ein schreckliches Machwerk und ein einziges Missverständnis, den Charme und den dunklen Zauber des Ausgangsmaterials verkennend. O’Donnells Original-Drehbuch war durch die Hände vieler ahnungsloser Skript-Doktoren gewandert und das verwässerte Ergebnis machte aus einem europäischen Thriller mit Tiefgang eine hippe und noch dazu unlustige Hippie-Farce.

O’Donnell sagte noch im hohen Alter, allein der Gedanke an den Film verursache ihm Nasenbluten. Vitti, die italienische Hauptdarstellerin, bestand darauf, auch im Film eine Blondine zu bleiben. Doch Modesty hat dunkles Haar und keinen italienischen Akzent.

Und obwohl O’Donnell sich am ehesten den jungen Michael Caine in Willie Garvins Rolle vorstellen konnte, wurde dieser vom charismatischen, wenn auch dunkelhaarigen Terence Stamp verkörpert. Doch Willie Garvin hat blondes Haar und trägt keinen pinken Pullunder.

Zudem gab es noch reichlich andere Albernheiten, die den Film im Geiste von Swinging London erscheinen lassen sollten. Leonard Maltins Film- und Videoführer sagt dazu: „Regisseur Joseph Losey aß Honigmelonen, Gurken und Eis, schlief ein, wachte auf und nahm sich diese Adaption des Comics über eine sexy Spionin vor.“

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„Die Modesty-Romane sind endlos faszinierend… Ihre beiden Protagonisten sehe ich auf einer literarischen Ebene mit Sherlock Holmes und Dr. Watson.“

–Kingsley Amis

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Peter O’Donnells erster Modesty-Roman entstand 1965, zur Zeit des unsäglichen Losey-Films, was mich darin bestärkt, zu glauben, dass auch durch Unglücksfälle kleine Glücksfälle als Nebeneffekt entstehen können. Ursprünglich sollte nämlich damit der Film beworben werden und so brachte O’Donnell einfach sein ursprüngliches Drehbuch in Romanform.

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O’Donnell in seinem Arbeitsraum.

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Doch O’Donnell fand überraschenderweise Geschmack am Schreiben der Romane. Bei der Arbeit an den Strips fertigte er grob gezeichnete Thumbnails der Tafeln an, damit er wusste, wie viel Raum für die Sprechblasen und für die Illustrationen blieb. Aber die Romane waren Solo-Performances, bei denen der Autor die volle Kontrolle hatte und gleichzeitig seiner Fantasie freien Lauf lassen konnte. Darüber hinaus gibt es in einem Roman klarerweise mehr Spielraum für Gefühlsnuancen und Gelegenheit zu erzählen, was in den Charakteren wirklich vor sich geht.

Modesty Blaise ist eine der großen Abenteuer-Serien unserer Zeit, einer der am besten bebilderten Schwarz-Weiß-Comicstrips aller Zeiten und dabei noch immer ein Geheimtipp. Und die Bücher sind besser als die Strips. Daher mein Tipp, ganz ohne Geheimnistuerei: die augenblickliche Anschaffung aller Romane und einen moderaten Genuss derselben. Übrigens sind auch die bei RoRoRo erschienenen deutschen Übersetzungen sehr gelungen.

Im letzten von Peter O’Donnells Büchern, in der Kurzgeschichte Cobra Trap, ordnete der mittlerweile selbst schwer an Parkinson erkrankte Autor den endgültigen Rückzug seines unerschrockenen Paares an. Spoiler: Sie sterben mutig im Kampf, wie es sich für Legenden ihres Kalibers gehört. Auch in der Cartoon-Serie lässt O’Donnell den Vorhang mit gewohnter Finesse fallen und versetzt Willie im allerletzten Strip (erstaunlicherweise dem ersten in Farbe) ins Jenseits, wo er unter einem leuchtenden Wolkenhimmel auf Modesty trifft.

„Keine Bösewichte und keine Opfer, kein Blut, kein Schweiß und keine Tränen mehr. Wir machen eine kleine Pause, Willie love“, sagt sie, „nur du und ich.“ Darauf er: „Das Beste von allem, Prinzessin.“

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Zwischen 2004 und 2017 sind bei Titan Books sämtliche Modesty-Strips in 95 liebevoll gestalteten Comicbänden erschienen.

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www.sayyide.de (Deutschsprachige Seite mit Leseproben)

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www.modestyblaiseltd (Englische Seite über Modesty Blaise)

 

 

Soundcloud-Mix von Siba K. (60 Minuten Modesty-inspirierte Sleazy-60s-Musik)

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