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::: Josef Koudelka :::

Gassi gehen mit Antichrist

Anmerkungen zu „Schwarzer Hund im Park“.

 

 

„Schwarzer Hund im Park“. Parc de Sceaux, Paris, 1987. Erschienen im Fotoband Exiles.

 

Josef Koudelkas Fotografie „Schwarzer Hund im Park“ gehört nicht nur zu den bekanntesten Werken des Künstlers, sie repräsentiert in gewisser Weise sein gesamtes Werk. Wer den Namen Koudelka hört, denkt automatisch: „Aaah, schwarzer Hund im Park!“

Natürlich werden sich Fotografen und Kenner moderner Fotografie fragen, weshalb ein so bekanntes Bild einer weiteren eingehenden Betrachtung unterzogen werden soll. Wenn schon Koudelka, weshalb kein Bild aus seiner Prag-1968-Serie, die historisch relevanter wäre? Weshalb nicht die liegende Lenin-Statue, die auf einem Frachtschiff die Donau hinabgleitet? Weshalb nicht das Bild vom engelhaften Radfahrer oder jenes vom Rom, der am Boden hockend mit seinem Pferd spricht, oder eher, diesem zuhört?

Ich kann darauf nicht wirklich eine Antwort geben, außer auf die Feststellung hinzuweisen, dass ich trotz eingehender Recherche nur sehr wenige Analysen und Kommentare zu diesem Bild gefunden habe. Manchmal sind es die offensichtlichen Werke, die besonders wenig analytische Resonanz hervorrufen, weil sich ohnedies jede denkt, dass zu Orson Welles’ Citizen Kane, Van Goghs Sternennacht, zu Picassos Guernica, Miles Davis’ Kind of Blue oder zu Dorothea Langes Migrant Mother alles gedacht, gesagt und geschrieben ist.

Doch auch wenn es komplette Abhandlungen gäbe, die nur dieses Bild zum Inhalt haben, so würde ich dennoch über „Schwarzer Hund im Park“ schreiben wollen. Zum einen, weil es mir als eines der ikonischen Fotos des 20. Jahrhunderts erscheint, zum anderen, weil ich es von der ersten Sekunde an faszinierend fand und ich es mir wieder und immer wieder ansehen kann.

 

Dramatisch, bedrohlich, kalt.

 

Was macht seinen Reiz aus? Zunächst einmal seine makellose Komposition. Dann sein flächiger Kontrastreichtum. Schließlich seine Atmosphäre: dramatisch, bedrohlich, kalt.

Nicht zuletzt ist „Schwarzer Hund im Park“ faszinierend, gerade weil es kein Schnappschuss ist, gerade weil ein Einfall, eine spontane Idee hinter dem Bild steht. Ganz konkret ist es der Fotograf selbst, der sich im Augenblick, in dem er den Auslöser drückt, bewusst wird, dass hier gerade eine Allegorie entsteht. Das Leuchten von Koudelkas eigener Erkenntnis der möglichen zukünftigen Bedeutung dieses Bildes ist noch in seiner Belichtung spürbar. Der Moment der gelingenden Jagd des Hundes verdoppelt sich durch die Erkenntnis der gelungenen Jagd des Fotografen.

Aus der Serie, die zu diesem Meisterwerk führte, sind noch andere Aufnahmen erhalten geblieben, die Koudelka entweder kurz vor oder kurz nach dem entscheidenden Moment machte. Auf einem sieht die Betrachterin den Hund aus der Nähe. Er blickt sogar hechelnd in Koudelkas Kamera. Die Umrisse des Hundes sind aufgrund seiner Schwärze das Dominierende, doch seine Körperhaltung wirkt harmlos, verspielt und das Foto ist bloß irgendein Foto irgendeines Dobermanns.

Ein weiteres Bild aus der Serie zeigt den Hund im linken Bildabschnitt und aus größerer Distanz. Doch der auf der Jagd nach Düften umher schnüffelnde Hund wirkt darauf schmal und linkisch und wie ein Untertan seiner überwältigenden Hunde-Sinne: Von der olfaktorischen Neugier ist er angetrieben, fremdbestimmt. Vielleicht hat er sich davor hingehockt und mit zitternder Schweifspitze in den Schnee gekackt. Vielleicht hat er Freudensprünge ausgeführt und seinem Besitzer übermütig zugebellt, so wie die Dogge Bendicò aus Der Leopard von Tomasi di Lampedusa. Auf jeden Fall wirkt der schwarze Hund auf all diesen nicht verwendeten Kontaktabzügen alles andere als furchterregend.

 

 

Unverwendete Aufnahmen aus der Serie im Parc de Sceaux. Koudelka stellte sie 2014 bei einem Vortrag im Art Institute of Chicago vor

 

Auf der entscheidenden Aufnahme jedoch scheint der schwarze Hund sämtliche Geruchsinformationen verarbeitet und verinnerlicht zu haben. Er verkörpert mit einem Male eine unbezwingbare Eigenständigkeit. Man hat das Gefühl, etwas Mächtiges setzt sich in Bewegung, nicht bloß ein Hund. Sein drahtiger, muskulöser Körper wendet sich der frostigen Weite der Landschaft zu, es ist dies der Augenblick, in dem sich die Bewegung des Tieres in die optische Flucht zum Horizont einfügt. Trotz der Dynamik seiner Bewegung wirkt das lackschwarze Tier massiv und statisch, so als sei es aus Obsidian gehauen.

Die rechte Vorderpfote ist erhoben und leicht eingerollt. Die Zunge hängt geil über die Lefzen. Man könnte nicht sagen, ob der Hund in die Kamera blickt oder ob sich seine Schnauze dem Park zuwendet. Seine Rute, eingerollt wie eine Peitsche, wirkt elastisch; der linke Hinterlauf stößt sich vom Boden ab, um den Körper zielgerichtet nach vorne zu bewegen. Die kupierten Ohren, dämonischen Hörnern gleich, sind nun als ebenmäßige Silhouetten auf die Fluchtlinie der Fotografie ausgerichtet.

Die Lücke zwischen den spitzen Ohren korrespondiert mit der zentralen Lichtung des dunklen Winterwaldes am Horizont. Die botanische Architektur des Parks ist leicht versetzt, einzelne Bäumchen (und bei genauerem Hinschauen ein einzelner Mensch im linken Bildbereich) punktieren und beleben die weiße Schneefläche, die sich, leicht bergab verlaufend, im feucht-kalten Dunst verliert. Der Himmel ist bedeckt und auch die Schneefläche leuchtet nicht blütenweiß, sondern schmutzig und ist von Fußspuren zertreten.

Dass der schwarze Hund gerade über den viereckigen Deckel eines Bewässerungskanals schweift, gibt ihm einen dezidierten Platz in der Komposition, einen Ausgangspunkt, von dem aus der animalische Dämon zu seinem Angriff überzugehen scheint. Der dunkle, horizontale Rand eines Brunnenbeckens wirkt dabei wie eine Barriere, die der schwarze Hund bereits zu umgehen weiß. 

 

 „Wenn man  an Intensität verliert, verliert man alles.“

                 – Josef Koudelka

 

Der Kontext des Bildes ist durch die Parkarchitektur ein monarchistisch-europäischer. Das heißt zwangsläufig auch ein dekadenter Kontext, ein der Zerfaserung und Vereinzelung zugeeigneter: untergegangene Königshäuser; ramponierte Repräsentation, die gnadenlos von der Unterwelt unterwandert wird.

In diesem Sinne ist Koudelkas schwarzer Hund ein Begleiter des Niedergangs, ein Symbol der Finsternis, zu Leben erwachte Heraldik: Der Hund ist ein Vorbote verdienter Höllenstrafen für eine verlogene Gesellschaft, ganz ähnlich wie der Kater Behemoth aus Bulgakows Roman Der Meister und Margarita. Behemoth ist der animalische Begleiter des Zauberkünstlers Voland, der sich im Laufe des Buches als der leibhaftige Teufel offenbart.

Dass der Hund in Koudelkas Fotografie eine dämonische Allegorie ist, steht außer Frage. Dass sich dieser Höllenhund gerade auf den Weg zu den Behausungen der Menschen am Horizont aufzumachen scheint, gibt der Betrachterin Anlass, das Bild als Moment aus einer Geschichte zu sehen. Wir sind an einem Plotpoint, an einem Wendepunkt angekommen, in einer Erzählung, die unser eigenes Schicksal beinhaltet.

Dass es sich bei dieser Erzählung um die eines Untergangs handelt, und nicht um die eines Aufstiegs, ist die erschreckende Erkenntnis. Sie trifft im selben Augenblick ein, da uns die Komposition der Fotografie in vollem Ausmaß erreicht. 

 

 

*

 

 

Josef Koudelka, 1987. © Gorup de Besanez

1968 fotografierte der damals dreißigjährige Josef Koudelka die Sowjet-Invasion der Tschechoslowakei und veröffentlichte die Aufnahmen anonym unter den Initialen P. P. (Prague Photographer). Die Fotos machten ihn im Westen schlagartig bekannt. Koudelka verließ die Tschechoslowakei 1970, wurde staatenlos, erhielt politisches Asyl in England und trat kurz darauf der Agentur Magnum bei.

Josef Koudelka hat elf Fotobücher veröffentlicht, die sich mit der Beziehung zwischen Menschen und Landschaft befassen, darunter Gypsies (1975), Exiles (1988), Black Triangle (1994), Invasion 68: Prague (2008) und Wall (2013). Er war bekannt dafür, keinen Besitz haben zu wollen und oft in freier Wildbahn oder auf Parkbänken zu übernachten. Mehr als seine Kamera und ein gutes Paar Wanderschuhe brauchte er nicht. Nationalstaatliche Grenzen betrachtet er noch heute als überhebliche Illusion. 

Bedeutende Ausstellungen seiner Arbeiten wurden im Museum of Modern Art und im International Center of Photography in New York gezeigt sowie in der Hayward Gallery, London, und im Palais de Tokyo, Paris. Koudelka erhielt 2002 die von der Tschechischen Republik verliehene Verdienstmedaille und zahlreiche andere Auszeichnungen. 2012 wurde er vom französischen Kulturministerium zum Commandeur de l’Ordre des Arts et des Lettres ernannt. 

Er lebt in Paris und Prag.